…jetzt habe ich eine Weile Leserkommentare bei der Zeit gelesen und bin wieder erschrocken, wie sehr die eigene Meinung, gebildet aus „Glauben“ und dem, was man meint zu beobachten, als endgültige Wahrheit erachtet wird.
Da die Beiträge aber alle schon wochenalt waren, hätte ein Beitrag von mir eher keine Wirkung erzielt.
Deshalb ein bisschen „Dampf ablassen“ hier, mit meinem Beitrag zu dem Thema Alltag mit Rad, konkret, in meinem Fall, E-Lastenrad.
Zuerst, ich bin hier vielleicht ein bisschen vom Glück bedacht worden, ich habe eine Garage mit Steckdose, nur 5km zur Arbeit, wo ich über einen Spind verfüge und zur Not duschen könnte, mit 100 Höhenmetern, die aber erst auf der Rückfahrt anstehen, einen Top Supermarkt, der alle meine Bedürfnisse erfüllt in (flachen, über die Felder) 2-3km Entfernung, vor dem ich super parken und abschließen kann und selbst Geschäftstermine, meist Abendessen mit Kunden aus Übersee (USA/Kanada/AUS/NZ) in der Stadt, fahre ich (inzw.) mit dem Lastenrad an. Meine Tochter hat es vorne drin geliebt, liebt es immer noch, auch wenn sie mittlerweile selber fährt und sowieso ein paar Häuser weiter bei Ihrer Mutter lebt, die natürlich ein Auto hat, wie sollte sie auch sonst, bei der Fülle an Terminen und diesen gigantischen Entfernungen den Alltag stemmen können. Vor der massenhaften Verbreitung von KFZ muss das Leben der absolute Horror gewesen sein…
An den ÖPNV sind wir, wenn auch ganz schön teuer hier im Raum, aber sehr gut angebunden. Nah-, wie auch Fernverkehr.
Das mit den Geschäftsterminen hat tatsächlich damals etwas Mut gebraucht, aber die Erfahrung war immer positiv, man hatte sofort etwas, dass das Eis gebrochen hat und die Kunden aus den o.g. Kulturkreisen sind sowieso offener für alles Neue, Misstrauen kam am Anfang ausschließlich aus unseren Reihen.
Aber auch hier hilft vielleicht, dass erst die Rückfahrt die Höhenmeter mit sich bringt…
Lange Rede kurzer Sinn, seit gut 7 Jahren (Auto verkauft, stand nur rum) mache ich das meiste im Alltag mit dem Rad, seit jetzt 2 Jahren eigentlich nichts mehr ohne mein E-Lastenrad.
Nachteile im Alltag gegenüber dem Bio MTB sind absolut selten und bisher waren alle zu bewältigen.
Ich komme vom Bio MTB und selbstverständlich war das e-bike für mich die ersten paar Jahre ein Frevel an der Menschheit und ich würde heute auf eine nicht zu kleine Menge an Menschen zurückblicken, für deren Verdammung ich verantwortlich wäre, wenn ich denn verdammen könnte…(Rentner, die einen bergauf, gemütlich sitzend, überholen u.ä.)
Inzwischen habe ich aber damit meinen Frieden gemacht, Fahrrad fahren und E-Bike fahren sind heute in meinen Augen zwei völlig unterschiedliche Dinge, sehen sich nur oberflächlich ähnlich, teilen sich aber ihren Lebensraum. …so in etwa…
Was ich am Lastenrad, in Verbindung mit dem e-Antrieb, aber am meisten zu schätzen gelernt habe, ist die Freiheit.
Anfang der 2000er hatte ich einen japanischen Jogurt-Becher (Honda CBR 900) und wusste, damals noch mit 50km einfache Strecke zum Pendeln, dass, wenn ich aus dem Büro gehe und mich auf die Karre setze, mein Feierabend beginnt. Ich fragte damals einen Freund, ebenfalls mit Motorrad, warum, in seinen Augen, Motorrad fahren so viel Spass mache. Er sagte, ähnlich habe ich das empfunden, „irgendwie so ein Gefühl von Freiheit“.
Man hatte auf den Straßen auf einmal keine Schranken mehr, an Autos fuhr ich einfach vorbei, nach vorne, hinten, links und rechts, es gab keine Grenze mehr. Ganz anders im Auto, die 50km im zäh fließenden Verkehr waren mit Wutausbrüchen im Minutentakt befüllt. Ich glaube, dass ist so eine archaische Klamotte, das Auto vor einem, schreibt einem vor, wie man zu fahren hat. Das ist evolutionstechnisch nicht positiv behaftet, zu etwas gezwungen zu werden…
2005 habe ich mich dann auf einem dieser Heimwege dummerweise in die Botanik gekugelt, mit ein paar Wochen Intensivstation und anschließend ein paar Monate Reha. Das hat mir aber ganz gut getan, den eigenen Körper und seine Gesundheit hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt als gegeben betrachtet und danach, auch wegen meiner Mama, kein Motorrad mehr angeschafft sondern das Fahrrad für mich entdeckt.
Mit dem Fahrrad war wieder nicht mehr irgendwer vor mir die Grenze, sondern meine Beine. Meine Beine wurden dicker und auf einmal war die Ladekapazität meines Rucksacks die Grenze, sei es beim Einkaufen, oder bei der Planung des Tages, was kann man mitnehmen für irgendwelche Eventualitäten?
Mein e-Lastenrad bedeutet für mich heute die größtmögliche Freiheit im Alltag. Ich kann spontan einkaufen gehen, ich kann spontan etwas aufladen, wenn man am Sperrmüll vorbei fährt und einem etwas ins´s Auge fällt. Ich kann zur Sicherheit eine Decke und Badehose mitnehmen und trotzdem noch Regenklamotten immer dabei haben. Ich kann auch mal etwas vergessen im Büro, fahre ich halt nochmal schnell runter, die 100 Höhenmeter sind auf einmal egal. Ich hasse keine Hundehalter oder Leute mit Kindern mehr, weil die mich zwingen meine Geschwindigkeit zu reduzieren, die ich mir vorher hart erarbeitet habe. Ich rolle langsam an diesen vorbei und sage „Danke“ mit einem Lächeln, was den Alltag für uns beide ein bisschen besser macht, und, und , und…das bei jedem Wetter, selbst tief verschneite Waldwege machen Bock…
…und die einzigen 2 Mal, als ich an die Beladungsgrenze gekommen bin, bin halt 2x gefahren bzw. habe den Anhänger rausgeholt.
Deswegen und wegen ganz viel anderem, will ich es nicht mehr missen und empfinde das Rad auch nicht als unflexibel, schwer zu manövrieren, oder sonst irgendwas (Meine Garage nicht vergessen, das muss nicht für jeden gelten.)
Ja, es ist, wenn auch anders geplant gewesen, zu meinem täglichen Nutztier geworden.