Bei der Mobilitätswende muss man wohl zwischen Stadt und Land unterscheiden. Bei der Stadt habe ich trotz aller entmutigenden Faktoren eine große Hoffnung: Städtebauliche Szenarien rechnen in vielen Fällen damit, dass der ruhende PKW-Verkehr bis in 20 Jahren nahezu aus den Städten verbannt sein wird. Erst soll das Anwohnerparken in mehreren Stufen drastisch verteuert werden. In einem zweiten Schritt sollen dann die (unbezahlbaren) Parkstreifen komplett gestrichen werden. Mal sehen – das könnte der „game-changer“ sein. Denn mit dem ruhenden Verkehr dürfte auch der fahrende zurückgehen.
Dem entgegen stehen die entmutigenden Faktoren:
- Kein Politiker traut sich dem Wähler den aktuellen Nutzungsgrad des PKW aktiv zu reduzieren.
- Wenn man es ernst nähme mit der Mobilitätswende, würde man den ÖPNV zum schnellstmöglichen Zeitpunkt kostenlos machen. Ohne diesen Schritt kann man nicht von einer Ernsthaftigkeit ausgehen.
Ich frage mich auch, was in Kopenhagen anders gelaufen ist. Dort war ich letztes Jahr auch 2 Tage radfahrend unterwegs. Ist schon beeindruckend! Irgendwie muss dort ein systemische „Kipppunkt“ überwunden worden sein, der alles weitere dann einfacher macht.
Noch ne grundsätzliche Einschätzung von mir: Jeden Verbrenner-PKW und einen Akku-PKW zu ersetzen, kann nicht die Lösung sein, vor allem nicht in den Städten.
Auf dem Land bin ich noch skeptischer, ob Alternativen zum Privat-PKW einen nennenswerten Anteil erreichen können. Klar ist: Bei uns auf dem Land ist der Privat-PKW auf lange Sicht unverzichtbar. Aber bitte nicht falsch verstehen. Für mich ist klar, dass man einen (Privat-PKW) haben muss. Das bedeutet aber mitnichten, dass man ihn auch dauernd fahren muss. Warum braucht man einen? -> Die meisten von uns haben noch klein-landwirtschaftliche Aufgaben und praktisch in jedem Haushalt gibt es einen PKW-Anhänger, der auch regelmäßig zum Einsatz kommt. Bei uns zu Hause zusätzlich auch einen Schlepper. Für gewisse Transportaufgaben ist die Motorkutsche unverzichtbar, auch für Dinge im Vereinssport, die oft kaum mit „Öffentlichen“ oder Fahrrädern leistbar wären.
Aber jetzt fängt es an mit Unwissenheit, Missverständnis und Ignoranz: Beginnen wir mit den „Öffis“. Deren Angebot ist (zumindest Mo-Fr) weit besser, als sich in den Köpfen festsetzen will. Dauernd hört man Vergleiche Öffis versus Privat-PKW im Bekanntenkreis. Da wird regelmäßig folgender systematische Fehler gemacht: Es werden optimale (Idealfall) PKW-Fahrzeiten mit grottigen Sondersituationen beim ÖPNV verglichen. Ich könnte regelmäßig Gegenbeispiele zu etwas anderen Fahrzeiten oder leicht abgeänderten Relationen nennen, wo sich kein entscheidender Vorteil für den Privat-PKW ergibt. Aber das hier ist ein Bike-Forum, daher jetzt der Fokus auf den Radverkehr.
Mit asphaltierten und gut geschotterten Feldwegen sind wir hier im Vergleich zu den Städten relativ gut aufgestellt, was die Verbindung zwischen den Ortschaften angeht. Trotzdem führt das Fahrrad als Verkehrsmittel (nicht als Sportgerät) ein Schattendasein. Ich spiegele das an meinen privaten Erfahrungen. Ich wohne 2 km vom nächsten Dorf entfernt, 2,5 km von der nächsten ÖPNV-Haltestelle, 3 km vom nächsten Supermarkt, 8 km vom bevorzugten Supermarkt und vom Bioladen. Für Erledigungen (Einkaufen, Leute von der Bushaltestelle abholen, …) nehme ich meist das Lasten-Tandem (Hase Pino mit Porter-Rack und Vordersitz-Bag). Mit dem voll bestückten (Taschen) Pino kann ich locker 2 Getränkekisten plus den Inhalt von 2 gefüllte Einkaufswagen transportieren. Bei Fahrten zu weiter entfernten Ortschaften mit Transport-Bedürfnissen, welche sich mit zwei Ortlieb-Taschen bewältigen lassen, nehme ich das S-Pedelec, fürs Pendeln zur Arbeit (30 km) selbstverständlich auch. Das Kuriose: Auf den Parkplätzen der Supermärkte stehen in der Regel 1-4 Fahrräder (inklusive meinem), aber 30-40 Autos. 90% der Kunden kommen aus der jeweiligen Ortschaft, also max. 2 km Anfahrtsweg. Und sie kaufen eine Menge ein, die locker in zwei Ortliebtaschen passen. Also man bräuchte nicht einmal ein Lastenrad. Ich habe echt keine Ahnung, warum diese Leute mit dem Auto fahren. Vermutlich wissen sie es nicht besser und haben es noch nie probiert. Vielleicht können sie sich auch kein Fahrrad leisten, keine Ahnung. Ich frag mich echt, wie man diesen Leuten den Umstieg schmackhaft machen kann. Vermutlich müssen die meisten den Sprit, den sie verfahren, auch noch selbst zahlen und fahren trotzdem Kurzstrecken mit dem Auto. Selbst ohne Spritkosten steige ich für die Kurzstrecken nicht ins Auto.
Nochmal zum Thema Lastenrad: Auch so ein „Märchen“. Immer wieder hört man – auch und vor allem von Politikern – dass ein Lastenrad auf dem Land untauglich wäre. In der Tat sieht man bei uns im Vergleich zur Stadt nur wenig Lastenräder. Aber dafür gibt es aus meiner Sicht keinen Grund. Das Lastenrad ist auf unverstopften Straßen in Dörfern und Städtchen sowie auf den Feld- und Waldwegen dazwischen entspannter zu manövrieren als in der Großstadt. Keine Ahnung, wie die Menschen zu solchen Erkenntnissen kommen.
Ein Vorbild in Sachen Umwelt umweltfreundlicher Mobilität bin ich freilich auch nicht. Da ich jahrelang aktiv im Skirennsport und im überregionalen Tennis-Wettkampfsport unterwegs war, bin ich mit dem Auto in den letzten 10 Jahren selbst für Autofahrer-Verhältnisse überdurchschnittlich viele Kilometer gefahren. Aber das „Alltägliche“ geht weitgehend ohne Auto und zwar absolut gut. Nur: Wie kommen Mitmenschen zu ähnlichen Erkenntnissen? Oder: Was kann die Politik tun an Verbesserung der Rahmenbedingungen? Hier sind beide Seiten gefragt. Aber beide Seiten haben nach meiner Wahrnehmung kein Interesse daran. Offenbar sollen’s die E-Autos richten – mit immer mehr Verkehr …