Ja, Sie haben ja recht und Ihren Beitrag zur Stabilität der Kiste hier im Forum habe ich eben auch gelesen. Danke dafür! Und gut, dass alle wohl auf sind! Und Ihren Standpunkt zum Marketing kann ich sehr gut nachvollziehen.
Aber - und bitte verzeihen Sie mir, wenn ich jetzt etwas weiter aushole, aber dieser Punkt ist mir wichtig:
Ich möchte auch zu bedenken geben, dass auch subjektives Sicherheitsempfinden - ein Bauchgefühl - eine sehr wichtige Rolle im Straßenverkehr spielt. Ich habe lange in Wiesbaden - der laut ADFC fahrrad-unfreundlichsten Stadt - gelebt. Bei der Fahrt zur Arbeit mit dem Fahrrad bin ich oft in sehr brenzlige Situationen gekommen: Autos drängen einen beim Überholen in engen Bergstraßen in parkende Autos ab, ein Bus überholt mit 50km/h so dicht, dass er meine Radtasche streift, ein Müll-LKW fährt unmittelbar auf mein Hinterrad auf, weil ich eine Steigung zu "langsam" fahre, etc. Mit der Zeit habe ich mich an dieses Gefühl der Anspannung, das solche Situationen auslösen, gewöhnt. Man fährt aufmerksamer, offensiver und rechnet ständig damit, dass irgendein Idiot einen innerhalb von Sekunden vom Rad holen kann. Am Ende bin ich eher mit dem Rennrad gefahren, weil ich mit Klickpedalen und dem geringen Gewicht mehr gefühlte Kontrolle und Sicherheit hatte als mit einem robusteren schweren Trekkingrad mit Scheibenbremsen, das wahrscheinlich objektiv sicherer war. Dass ich sicher durch den gefährlichen Verkehr gekommen bin, lag - meinem Gefühl nach - an meiner Konzentration und meinem selbstbewussten Fahrstil, die mir ein hohes subjektives Sicherheitsgefühl gegeben haben. Ich hatte in der Zeit genau einen Unfall: ich habe bei Glatteis beim Abbiegen gezögert und anstatt meines ersten Impulses, einfach weiter zu fahren, zu folgen, habe ich stattdessen ein drängelndes Auto vorgelassen. Und dann bin ich zu langsam geworden, habe das Gefühl und Gleichgewicht verloren, bin weggerutscht und habe mir Bein und Arm aufgeschlagen. Wäre ich einfach selbstbewusst weitergefahren, wäre nichts passiert.
Wenn ich jetzt die Wahl habe zwischen
1) einem Rad, das zwar objektiv als solide und sicher einzustufen ist, aber das trotzdem bei dem Transport meiner Kinder ständig meine Aufmerksamkeit fordert, weil ich z.B. darauf achten muss, dass die Hände in der Box sind, dass der Kopf gerade und nicht verdreht ist, dass die Lenkung bzw. das Vorderrad nicht "flattert" oder sich irgendwas löst, dass alle angeschnallt sind, weil die Anschnallgurte behelfsmäßig sind und meine Kleine sich ständig daraus befreit (wie z.B. aktuell bei unserem Thule Yepp Mini) und
2) einem Rad, das aufgrund seiner Bauweise all diese Punkte baubedingt verhindert, bei dem das Kind tief "verpackt" sitzt in einer "Plastik-Kühlbox" mit stoßdämpfenden Eigenschaften, die Anschnallgurte hermetisch fest sitzen, der Kopf stabil gehalten wird und die Hände gar nicht gequetscht werden können und ich dadurch mehr Zeit habe, mich auf den Verkehr zu konzentrieren - und damit auch objektiv direkt sicherer fahre - ,
dann entscheide ich mich immer für Variante 2), weil dieses Rad mir ein höheres subjektives Sicherheitsgefühl gibt. Wenn dieses Rad dann auch noch so breit und fett auf der Straße liegt wie ein Motorrad und andere Autofahrer sich aufgrund der Massivität des Rads gar nicht erst genötigt fühlen, mit 5cm Abstand zu überholen, umso besser. Und meine nicht fahrradaffine Frau, die ich bei Touren ständig ermutigen muss, von ihrer Kettenschaltung Gebrauch zu machen und bitte bitte bitte nicht über kreuz geschaltet zu fahren, würde sicher durch eine automatische Schaltung noch ein kleines Stück mehr Sicherheit gewinnen, weil sie einfach diesen Denkprozess des Schaltens vermeiden kann. Im Gegensatz dazu fehlt mir am Ende in einem brenzligen Moment die Aufmerksamkeit, die Rad 1) erfordert. Und im Straßenverkehr reicht ein Bruchteil Ablenkung oder Unsicherheit für einen schlimmen Unfall schon aus.
Bei all diesen Punkten ist am Ende die Frage, ob bei einem Crashtest die eine Box oder das eine Rad besser hält als die/das andere, nachrangig. Wenn wir in einen LKW fahren, sind wir eh alle tot. EPP hin oder her. Bei kleineren Sachen mag das EPP schützen. Unfälle zu vermeiden - Sie schreiben von Dänemark und den Niederlanden als Beispiel - ist am Ende viel effektiver. Aber bis dahin: die Kontrolle über das Fahren, das Gefühl für den Verkehr.. beides wird - meiner Meinung und Erfahrung nach - massiv vom subjektiven Sicherheitsgefühl beeinflusst.
Ich finde z.B. das Bullitt wirklich klasse. Und ich kann mir vorstellen, irgendwann einmal mir aus einem Rahmen selber so ein Race-Bullitt zu bauen. Aber als ich mit meiner Tochter in der halbhohen Box unterwegs war, hab ich sogar auf einem Feldweg ständig den Impuls gehabt, nach ihr zu schauen. Die hat darin gewackelt als säße sie in einer Schubkarre. Die Touren übers Feld haben Spaß gemacht. Durch die Stadt wäre ich mit ihr nicht gefahren, vor allem nicht durch Wiesbaden. Mit einem Rad wie dem CaGo aber eben schon. Das ist eine ganz persönliche Einstellung. Vor den Kindern war ich risikofreudiger - vor allem beim Radfahren. Nun bin ich risikoavers. Vor allem bei unnötigen Risiken im Straßenverkehr. Ganz unabhängig vom Marketing sind mir diese Punkte daher wichtig.
Deswegen als Resumé, auch
@lowtech: Nein, nach meiner Meinung ist das ist nicht nur Marketing, sondern spielt auch bei der objektiven Sicherheit im Straßenverkehr eine Rolle.
Oder wie sehen Sie das?