Deshalb werbe ich für Verständnis und ein Miteinander...
Mir tut zunächst einmal die 32-jährige Leid, die gestern so furchtbar und sicher schmerzvoll ums Leben kam. Mein Beileid auch den Angehörigen, den Freunden. Dass der unfallbeteiligte LKW-Fahrer psychologische Hilfe brauchen könnte und diese auch erhalten soll, dagegen ist doch gar nichts einzuwenden. Dies war allerdings
nicht mein erster Gedanke, als ich die Meldung las.
Verkehrsregeln, Gesetze und das baulich-technische dazu, sollen ja in erster Linie dienen, damit potenzielle Opfer gar nicht erst zu Opfern werden und Totfahrer gar nicht erst zu Totfahrern. Der Verkehr, der öffentliche Raum ändert sich mit den Zeiten, daher bedarf auch das Sicherheitskonzept ständiger Überprüfung und ggf. Adaption. Das Werben für Verständnis und Miteinander ist schön und gut und wird sicher vielen
für die Verhältnisse verantwortlichen Politikern
leicht von der Zunge gehen, zumal es in erster Linie
nichts kostet. Ausgaben enstehen höchstens für den Druck von ein paar Flyern oder so. Dass aber ein zeitgemäßer
Umbau einer Großstadt wie Berlin im Hinblick auf die Verkehrs-Belange eine Herkules-Aufgabe ist, das sollte klar sein. Herkules-Aufgabe soll heißen: Das dauert, das wird teuer und auch bisschen schmerzhaft. "Schmerzhaft" deswegen, weil natürlich irgendjemand wird verzichten müssen, wenn bei endlicher Fläche mehr Verkehrsgerechtigkeit und Sicherheit hergestellt werden soll. Langsamer, räumlicher besser getrennt geht nicht zusammen mit einer Parallelwelt des "weiter-wie bisher".
Solange diese wichtige zukunftsweisende Aufgabe dermaßen
halbherzig bis gar nicht angepackt wird, mag ich,
Bitte, kein Wehklagen über traumatisierte Unfallverursacher hören. Zumindest dann nicht, wenn ebenjene als Verursacher betroffene nicht selbst auf Änderungen (gesetzlich, baulich) im Miteinander im Straßenverkehr drängen. Wo bleiben denn die vielen LKW-Fahrer und Speditionen, die nach den regelmäßig sich ereignenden Rechtsabbiege-Unfällen auf politische Konsequenzen drängen? Ich habe da
noch nie irgendetwas gehört.
Deren psychische Traumatisierung reicht
dafür zumindest nicht aus. Sehr schade!
Die von Andreas persönlich erlebte Geschichte ist sicher schwer in einem öffentlichen Forum und mit Halb- bis Garnichtwissen zu diskutieren oder zu werten. Letzteres steht mir auch gar nicht zu. Man sollte nie jemanden seinen Schmerz, seine Trauer, sein Erschrecken, sein Geschocktsein vom Erlebten absprechen oder versuchen, dieses zu relativieren. Umgekehrt, aus Opferperspektive, gilt das aber genau so. Fritz-Cola schrieb meiner Meinung nach schon die komplett richtigen Zeilen dazu. Danke Dir dafür!
Dass es indes
unmöglich sein solle, mit so einem Trauma weiterzuleben, das würde ich für die
allermeisten Menschen in Frage stellen. Durch meine Arbeit in der Notaufnahme werde ich täglich mit traumatischen Einschnitten in Biografien von Menschen konfrontiert und habe in meinen Berufsjahren dabei auch meinen kleinen Teil Traumatisierung abbekommen. Aufrund erlebter Tätigkeit als Ersthelfer außerhalb der schützenden Klinikmauern, schützend im Sinne von geregelten Abläufen und professionellem Management, und auch durch Tätigkeiten mit der Feuerwehr zusammen, habe ich für mich festgestellt, dass es sehr angenehm (und psychisch leichter verkraftbar) ist, in dem setting einer Notaufnahme gemeinsam ein Problem anzugehen, und zwar leichter gegenüber der chaotischen Situation am Ort eines Unfalls. Das Chaos, das Unübersichtliche, Blut und Blech, Schreie und Stöhnen, offene Frakturen, unversorgte arterielle Blutungen, offene Schädeldecken, Sterben - das ist sehr, sehr schwer zu ertragen. Am besten, man kann was tun und weiß auch,
was zu tun ist. Der große oder
größte Schreck kommt eh' erst hinterher.
Ich vermute, dass die allermeisten Autofahrer in ihrer "Blechburg" kein
realistisches Gefühl für die bewegte Masse und die gefahrerene Geschwindigkeit, mithin die
kinetische Energie haben. Unterstützt wird diese "Ferne zur Physik" durch eine Autoindustrie, die immer komfortablere Autos baut: Leiser, sicherer, mit vielen elektronische Helferlein (welche die Grenzen der Physik immer knapper auszureizen
helfen). Das Aussteigen nach einem "Bumms", sofern man dann unverletzt aussteigen kann, und das "Besichtigen" der Folgen, etwa in der oben von mir geschilderten Härte, das dürfte für viele in der Hinsicht unerfahrene Autofahrer ein ziemliches Schockerlebnis sein. Dazu kommt die Verpflichtung zu helfen, Hilfe zu rufen, abzusichern - in jedem Fall sofort etwas zu tun! Ist euch eigentlich schon einmal aufgefallen, dass laut Presseberichten die Zahle derer, die nach einem Unfall (Kfz) einfach "türmen", enorm zugenommen hat? Aber das nur am Rande. So ein prägendes Ereignis, prägend im Sinne von Physik, Ethik, Verantwortung übernehmen, über das Leben und das Miteinander nachdenken, so ein Ereignis will bewälltigt werden, ggf. mit psychologischer Hilfe. Aber es kann bewältigt werden. Wichtig ist, dass man es
richtig einordnet, nicht die ganze Welt oder Einzelne als
böse hinstellt (und sich als komplett unschuldiges Opfer), sondern den
intellektuellen Klimmzug schafft, die Transzendenz, über unser Dasein und Miteinander wirklich einmal nachzudenken. Wem das allein nicht reicht, der kann darüber hinaus auch gerne noch mehr tun. Ehrenamtlich, Opferhilfe, sich in der Verkehrspolitik engagieren.
Schöner aber wäre es, wenn schon
zuvor ein gewisses Verständnis für die genannten Zusammenhänge da wäre. Ein weiteres Beispiel, die grundsätzliche Gefahr, die von Autos und LKW ausgeht betreffend: Der Gesetzgeber hat wohlweislich die so genannte Gefährdungshaftung in die Kfz-Haftpflicht inkludiert. Bei einer Gefährdungshaftung kommt es auf die Widerrechtlichkeit der Handlung oder ein Verschulden des Schädigers nicht an! Das klassische Beispiel wäre das am Berg abgestellte Auto (ein bis zwei Tonnen Gewicht), welches durch einen unabsehbaren technischen Defekt an der Feststellbremse ins Rollen kommt und dadurch schwere Schäden oder gar Personen anrichtet. Bei Abwesenheit des Halters/Fahrers, bei Befolgen aller gesetzlichen Vorschriften. Das, was oft heulend von Seiten der Auto- und LKW-Fahrer als "Bevorzugung" der Radfahrer im Sinne der Schadensregulierung hingestellt wird, entspricht im Grundgedanken einfach nur der Wertung einer grundsätzlich höheren Gefahr, die von jenen Verkehrsmitteln (und natürlich auch Verkehrsteilnehmern) ausgeht. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich mir bezüglich Lastenrad/Ladung mit 200kg Gewicht und 250W E-Motor auch so meine Gedanken mache (Gehwegradeln?). Bislang scheint der Gesetzgeber den Aufwand von Kennzeichnung, Registrierung, Versicherungspflicht als unangemessen hoch zu einzuschätzen.
Zurück zum Ausgangspunkt: Meine unmittelbare persönliche Konsequenz aus der traurigen Meldung gestern wird sein, dass ich am kommenden Freitag einmal wieder die critical mass in Berlin mitfahren werde. Mögen die Autofahrer über die "Korker" denken, was sie wollen ("Gegeneinander", "Provokation"), ich für meinen Teil glaube an eine bessere Zukunft für uns und unsere Kinder. Besser übrigens auch im Sinne der bereits durch psychologische Traumata geschädigten Unfallverursacher.
Habt es gut miteinander, fahrt sicher und umsichtig!
Manuel