Vor ein paar Wochen hatte ich die Fernwartung eines Gravelbike begleitet. Die Schaltung, eine mechanische Shimano GRX 800, hing fest. Das Rad war knapp ein halbes Jahr alt und ein Individualaufbau rund um einen Open U.P. von Open Cycles, ein Carbonrahmen für immerhin 3000 Euro.
Der Rahmen bietet Platz für sehr breite Reifen und hat daher einige Fans. Die Züge werden innen verlegt. Davor haben viele Hobbyschrauber noch etwas Angst und trauen sich nicht an die Wartung der Züge. Eigentlich kein Hexenwerk, aber in diesem Fall irrte ich mich doch.
Der Rahmen nutzt außerdem ein Pressfit-Innenlager. Auch dies muss nichts Schlechtes sein, immerhin gehen Tretlager mit Schraubgewinde auch mal gerne kaputt und bei der Wartung stößt man dann manchmal auf festkorrodierte Gewinde oder der "Mechaniker" dreht die Lagerschalen zu fest dran und schädigt so das Gewinde. Ein eingepresstes Lager hat also auch Vorteile.
Ein Nachteil eingepresster Lager ist aber, das man sie rausklopfen muss und die Schläge das Lager schädigen können. Klopft man schadhafte Lager raus, ist das egal. Will man die Lagerschalen erneut verwenden, muss man sehr vorsichtig sein.
Beim Open U.P. wurde ein paar Wochen zuvor das Tretlager erneuert, weil das erste verbaute Lager starkes Spiel entwickelt hatte. Nun, zwei oder drei Wochen danach klemmte die Schaltung hinten.
Ich verdächtigte den Schaltzug, das er sich irgendwo zwischen Schalthebel und Schaltwerk verhakt hätte. Als sich der Schalthebel auch mit gelöstem Schaltzug nicht bewegte, musste der Zug definitiv raus.
Aber wie legt man danach den neuen Zug wieder rein? Da haben die Rahmenhersteller verschiedene Techniken. Manche haben am Rahmen große, entfernbare Deckel, durch welche man bequem Züge und Leitungen auf einer Seite hineinschieben und ebenso bequem am anderen Ende mit den Finger greifen und hindurchziehen kann. Andere verlegen dünne Röhrchen im Rahmen, so genannte "Liner".
Open baute eine Kombination aus einem Deckel und einer Zugführung, die man direkt unterhalb des Tretlagers in den Rahmen setzte und die dort fest einrastet.
Da gibt es ein gut erkennbares Video, wie man bei einem Rahmen ohne Tretlager einen einzelnen Zug vom Lenker kommend durch den Rahmen zieht, in die Zugführung einfädelt, das Teil in den Rahmen einsetzt und später das Tretlager einbaut.
Nun musste man das aber am fertig gebauten Rad durchführen.
Problem 1:
Das Rad hat eine Werkstatt im Kundenauftrag gebaut, die einzelnen Montageschritte waren dem Endkunden nicht bekannt. Coronabedingt sind Werkstätten hoch ausgelastet und Termine nur mit Wartefrist zu bekommen.
Die Hoffnung war nun, die Operation selbst durchführen zu können. Aber der Radler hatte noch keine Wartungserfahrung mit seinem Rad.
Problem 2:
Um einen Zug durch den Rahmen zu ziehen, muss man zwingend das Tretlager ausbauen. Andernfalls bekommt man den Deckel mit der Zugführung nicht raus und hat auch keinen Platz um am Tretlager herum neue Züge einzufädeln. Und weil in der Deckel-Zugführung bei diesem Rad zwei Züge steckten, zum Umwerfer und zum Schaltwerk, mussten auch beide Züge erneuert werden, denn um den Deckel öffnen zu können, mussten erst die Züge lose sein. Bei einem auf Länge gekürzten Zug am Umwerfer bedeutet das dann, das anschließend ein neuer Zug verwendet werden sollte, da der Alte nicht lang genug für eine gute Handhabung ist.
Problem 3:
Das Tretlager war neu und ein Ausbau kann es beschädigen.
Was war nun die Schadensursache?
Es stellte sich raus, das der Schaltbremshebel mechanisch verklemmte und dadurch zum Garantiefall wurde. Der Schaltzug wurde entfernt, doch es blieb bei einem unbeweglichen Hebel.
Um nun einen einzelnen Schaltzug zu wechseln, müssen beim Open U.P. folgende Arbeitsschritte erfolgen:
- Schaltzüge von Schaltwerk und Umwerfer lösen oder abschneiden und vom Schalthebel aus vom Rad entfernen;
- Die Kurbelgarnitur entfernen;
- Die Lagerschalen aus dem Rahmen treiben, wobei die Lager wahrscheinlich geschädigt werden;
- Die Zugführung durch die Tretlageröffnung im Rahmen mit den Fingern nach unten aus dem Rahmen drücken;
- Neue Züge für Umwerfer und Schaltwerk einfädeln, am Tretlagerbereich des Rahmens in die Zugführung fädeln, die Züge weiter zur jeweiligen Austrittsöffnung schieben und die Zugführung in den Rahmen einrasten lassen;
- Ein wahrscheinlich neues Tretlager einpressen;
- Die Kurbelgarnitur montieren;
- Beide Schaltzüge an den Komponenten befestigen;
- Die Schaltung justieren.
Ergänzend muss man wegen des defekten Schaltbremshebel an diesem Rad das Lenkerband abwickeln, den Griff austauschen, die hydraulische Bremse entlüften und eben das Lenkerband erneut wickeln. Aber wegen eines Schaltzuges oder Defekt am Hebel gleich die gesamte Schaltung neu verkabeln und dabei das Tretlager erneuern müssen, ist seltendämlich konstruiert.
Das ist aber kein grundsätzliches Problem bei innenverlegten Zügen. Die bekommt man bei anderen Rahmenherstellern auch deutlich einfacher ersetzt.
Der Radler wird nun im nächsten Jahr das Rad auf eine elektronische Di2-Schaltung umrüsten lassen. Die dazu verlegten Kabel unterliegen keinem regelmäßigen Verschleiß.
So wird beim Open U.P. (bei der Erstmontage) ein Schaltzug montiert.