Personentransport vs StVO

Mit Tandems werden keine Personen transportiert, auch der Stoker "fährt".
 
"[...] zur Personenbeförderung gebaut [...]"

Das "gebaut" macht die Kopfschmerzen. Wer muss aufzeigen und sagen: Das ist für Personen gebaut?

Kann eigentlich nur heißen: Der Hersteller / der In-Verkehrbringer muss in seiner Bedienungsanleitung anzeigen, das Rad ist mit der und der Ausstattung für die Personenbeförderung geeignet, die so und so groß sind und maximal soviel wiegen dürfen.

Offen ist dann die Frage: Wie ist mit selbst gebauten / von der Bedienungsanleitung abweichenden Sitzen umzugehen? Oder, kann ich jedes Rad für die Personenbeförderung umbauen? Ich denke: garnicht.

Im Endeffekt aber eh viel zu kompliziert für die normalen Streifenbeamten, sodass man, wenn man das nicht gewerblich macht, wahrscheinlich unter dem Radar fliegen wird und nichts zu befürchten hat.

Immerhin bleibt ja der Rest von §21 Absatz 3 StVO mit den besonderen Sitzen für unter 8-jährige bestehen:
"Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr dürfen auf Fahrrädern von mindestens 16 Jahre alten Personen mitgenommen werden, wenn für die Kinder besondere Sitze vorhanden sind und durch Radverkleidungen oder gleich wirksame Vorrichtungen dafür gesorgt ist, dass die Füße der Kinder nicht in die Speichen geraten können. Hinter Fahrrädern dürfen in Anhängern, die zur Beförderung von Kindern eingerichtet sind, bis zu zwei Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr von mindestens 16 Jahre alten Personen mitgenommen werden. Die Begrenzung auf das vollendete siebte Lebensjahr gilt nicht für die Beförderung eines behinderten Kindes. "
 
Ich würde auf Augenmass hoffen: Systemgewicht wird eingehalten, der Paltz entspricht dem üblichen Baumuster für einen Passagierplatz (Sitz, Handgriff, ggfs. Speichenschutz udn Fußablage), Das Rad lässt sich sicher bewegen.

Also wenn etwa eine Art Stoker Platz, aber ohne Pedale da ist (wie etwa beim Longtail mit Fußbrett und Lenker am Sattelrohr) oder etwas analog zu einem Kindersitz in Groß auf der Ladefläche ist, wäre das erstmal ok. Ein Kissen in der Box und ein Bier im Flaschenhalter ist aber eher nicht so gedacht.
 
Die aber keinerlei gesonderte Erwähnung in der StVO finden, und da sie Fahrräder sind bei enger Auslegung der gerade abgelösten Formulierung nicht wirklich erlaubt waren, oder?

Doch in § 63a Ab. 1 StVZO ist definiert, was ein Fahrrad ist:

"Ein Fahrrad ist ein Fahrzeug mit mindestens zwei Rädern, das ausschließlich durch die Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln angetrieben wird."

Man beachte den Plural bei Personen. Im Umkehrschluss folgt für mich daraus, dass die Mitfahrt von Personen auf einem Tandem keine Personenbeförderung im Sinne von § 21 StVO ist. Auch der Stoker fährt das Tandem, wie hier schon jemand richtig gesagt hat.

Wegen der Formulierung "auch zur Personenbeförderung gebaut" würde ich mir keine allzu großen Gedanken machen. Auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht gelten die Grundsätze des Strafrechts. Die Vorschriften sind also eng auszulegen. Ohne eindeutige Verbotsnorm keine Strarbarkeit bzw. Ordnungswidrigkeit.

Eigenbauten zum Personentransport wie der Straßenkreuzer von Popahatsi werden daher m.E. genauso priviligiert wie ein Riese & Müller Load mit fabrikhergestelltem Einzelkindersitz.

Im Übrigen kann ein Verkehrspolizist auch gar nicht erkennen, ob die Transportlösung von einer kleinen Lastenradschmiede gebaut wurde oder von einem talentierten Heimwerker. Daher rechne ich auch nicht damit, dass da großartig Gerichtsentscheidungen zu erfolgen werden

(Ich bin übrigens Richter und war früher Verkehrsrichter an einem Amtsgericht in NRW)
 
Noch was gefunden:

Die Neuregelung des § 21 Abs. 3 StVO ist erst im Rahmen der Beratung der StVO-Novelle im Bundesrat in den Verordnungstext aufgenommen worden. in der entsprechenden Drucksache 591/19 findet sich folgende Begründung für die Neuregelung:

Die Zulässigkeit der Mitnahme von über siebenjährigen Personen auf entsprechend
gebauten und eingerichteten, ein- oder zweispurigen Fahrrädern soll in
§ 21 Absatz 3 StVO klargestellt werden. Diese Voraussetzungen zur Personenmitnahme
können insbesondere Rikschas (siehe dazu Verlautbarung des
BMVBW vom 24. Juni 2003, VkBl S. 429) und bestimmte Lastenfahrräder
erfüllen, die neben dem Transport von Gütern auch oder ausschließlich für den
Transport von Personen gebaut sind und daher über entsprechende eigene Sitzgelegenheiten
für jede Person verfügen.
Damit wird einer Forderung entsprochen, die Eingang in den Bericht der
Ad-hoc AG Radverkehrspolitik der Verkehrsministerkonferenz gefunden hat.
Bereits gegenwärtig wird die in ihrem Wortlaut missverständliche Vorschrift
des § 21 Absatz 3 StVO obergerichtlich einschränkend im Sinne der beantragten
Änderungsregelung ausgelegt (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom
11. Oktober 2004, Ss OWi 460/04).

Von einem Verbot der Mitnahme von Kindern über sieben Jahren auf Eigenbauten ist auch hier weit und breit nichts zu sehen. Wesentliches Kriterium scheint auch für den Bundesrat zu sein, dass jede Person über eine eigene Sitzgelegenheit verfügt. Damit sind m.E. auch ein Longtail wie das GSD Tern mit entsprechender Sitzausstattung oder ein entsrpechender Eigenbau zulässig.
 
Sag ich doch, nur nicht so schön fundiert vom Fachmann. Vielen Dank für die Ausführungen.

Grüße André
 
Offen ist dann die Frage: Wie ist mit selbst gebauten / von der Bedienungsanleitung abweichenden Sitzen umzugehen? Oder, kann ich jedes Rad für die Personenbeförderung umbauen? Ich denke: garnicht.
ich denke doch! :sneaky:

wir haben einige Fahrzeugumbauten (abweichende Sitze) in eig.Werkstatt auf Rechnung realisiert - meist Behindertenumbauten und auch einmal ein Drehschemel-trike. Mit der sich aus der Rechnung ergebenden Haftung empfiehlt es sich immer, den Umbau zum abchecken zu einer kleinen Abnahme vorzuführen...Es geht dabei insbesondere um die Perspektive eines anderen (offiziellen) Fachmanns - da Fehler einfach jedem unterlaufen können.

Daher kann ich auch bei einem Eigenbau nur empfehlen, mal bei einer Prüforganisation vorbei zu fahren und den Ing um seine Beurteilung des Umbaus zu bitten. Ich habe die Prüfer fast immer als sehr hilfsbereit erlebt und so viele Probleme bereits im vorraus abklären können.

Bei den Sitzeinbauten geht es um die Tragfähigkeit der Befestigungspunkte von Sitz und Gurten sowie um die von lowtech schon angesprochenen Punkte Speichenschutz/fussablage/Handgriffe/Gewichte(/Bremse)...sowie um die fachgerechte Umsetzung.
Sitze die für Personentransport oder im Fahrzeug zugelassen sind eignen sich besonders...da gibts zB für airlineschienen zugelassene flexible Sitzbefestigungen/Gurte (zB https://www.amf-bruns-behindertenfahrzeuge.de/online-shop/zubehör/).

ich finde die neue Regelung gut und ausreichend reguliert (y)
Das abchecken von einer 2. fachlichen Seite für einen Eigenbau/Umbau halte ich für selbstverplichtend...weil wie schnell hast du was übersehen... :eek:
 
Mitnahme [...] auf Eigenbauten ist auch hier weit und breit nichts zu sehen.

Okay aber Vorsicht: Bei der Begründung zur Novellierung der StVO wird mit BMVBW vom 24. Juni 2003, VkBl S. 429 auf die Empfehlungen für die Entscheidung über Anträge auf Zulassung des Betriebs von Fahrradtaxen verwiesen.

In der steht: [...] die Geeignetheit der verwendeten Fahrradtaxen zur Beförderung von bis zu zwei erwachsenen Fahrgästen durch Vorlage eines Gutachtens einer Technischen Prüfstelle oder einer amtlichen anerkannten Überwachungsorganisation [muss] nachgewiesen [sein] [...] und [...] Sicherheitsgurte [sind zu] benutzen [...]

Damit drückt der Gesetzgeber irgendwie aus, daß er mit "gebaut" und "entsprechen", sowas wie Gurte und die Verwendung von anerkannten Regeln der Technik, meint.

Da kann man mit einem Eigenbau ganz schnell überfordert sein.

Als plakatives Beispiel mal ein Dreirad mit Monobloc:



Aber @Eisenhart: Danke, daß es Richter gibt, die pro Velo argumentieren und nicht alle autofahrende CSU-Wähler sind :cool:
 
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wie schnell hast du was übersehen

Genau das ist dann der Graubereich, der einem in einer Kontrolle oder bei einem Unfall die Probleme bereiten kann.

Auf der anderen Seite, kann man auch wieder froh sein, daß bei der novellierung des § 21 StVO nicht überreglementiert wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gilt der Grundsatz "Keine Strafe ohne (hinreichend bestimmtes) Gesetz"

Da die Empfehlungen zur Genehmigung eines Rikscha-BEtriebes im in § 21 Abs. 3 StVO nicht ausdrücklich in Bezug genommen worden sind (und es sich ohnehin nur um Empfehlungen handelt) können sie nicht als verbindliche Konkretiiserung des Rechtsbegriffs "zur Personenbeförderung gebaut" herangezogen werden. Sie betreffen nur die Genehmigung von gewerblichem Rikscha-Betrieb, der weiterhin ausnahmegenehmigungsbedürftig ist, da dem Betrieb nicht nur die alte Fassung von § 21 Abs. 3 StVO entgegen stand.

Im Übrigen macht es ja auch Sinn, gewerbliche Personenbeförderung an strengere Voraussetzungen zu knüpfen als private. Ist beim Auto ja auch nicht anders.

Zu deinem Richterbild: Die Tiefgarage unseres Gerichts ist voller Fahrräder. Und CSU wählen geht schon allein geographisch nicht. Mal abgesehen davon, dass ich dafür vermutlich (zu Recht) enterbt würde :LOL:
 
Argh.... bei Juristen muss man immer auf die Wortwahl achten :oops::D

Strafrechtlich okay, aber privatrechtlich, wenn es um Schdensersatz geht, dann ist das mit den "geeigneten" Sitzen ein Graubereich. Zugegeben, der Faden hier thematisiert mehr die strafrechtliche Seite der Personenbeförderung.

Und wie grau der Bereich im Privatrecht ist, zeigt sich ja leider bei Themen, wie Fahrradfahrerin ohne Helm trägt Mitschuld an Unfall.
 
Genau das ist dann der Graubereich, der einem in einer Kontrolle oder bei einem Unfall die Probleme bereiten kann.
der Graubereich ist nahezu null, wenn ein amtlich anerkannter Sachverständiger den Einbau vorher "abgesegnet" hat.

Die (eventuelle) Gebühr des Sachverständigen ist verdammt günstig gegen Aufwand/Theater/Kosten bei Kontrolle/Unfall, zumal wenns um Personen geht, die häufig der eigene Nachwuchs o.Ä. ist...und läßt auf wichtige Fragen die einzig richtige Antwort zu. :cool:
 
Fahrt ihr einfach zu irgendeiner TÜV/Dekra/GTÜ Prüfstelle oder welche Abteilung kümmert sich darum? Wäre ja ggfs. für unser Sortimo interessant...
 
Sie betreffen nur die Genehmigung von gewerblichem Rikscha-Betrieb, der weiterhin ausnahmegenehmigungsbedürftig ist, da dem Betrieb nicht nur die alte Fassung von § 21 Abs. 3 StVO entgegen stand.
Aus dem angesprochenen Gespräch mit dem Rikschaverleiher ergab sich, dass zumindest eine zuständige (afaik bezirkliche) Stelle in B das in der Praxis aktuell nicht mehr so sieht. Und Berlin galt meines Wissens bisher als eher restriktiv.
Und ja, ich kenne das Reisegewerbeproblem.

Meines Erachtens wäre mit der Gesetzesänderung auch ein Betrieb a la https://pedalme.co.uk/ per Plattform ohne Ausnahmegenehmigung zulässig. Oder ignoriere ich da gerade die Regulierungen fürs Taxigewerbe?


Danke für deine Ausführungen!
 
Fahrt ihr einfach zu irgendeiner TÜV/Dekra/GTÜ Prüfstelle oder welche Abteilung kümmert sich darum?
ja, "Abnahme des Einbaus einer Sitzmöglichkeit mit ABE" kann eigendlich jeder Prüfer.
Bei uns ists derselbe GTÜ-Prüfer, zu dem wir auch mit Autos hinfahren. Wie zB bei Oldtimer-Umtragung muss der Prüfer "Bock" drauf haben (ist nicht bei Jedem gegeben...) und sich event. in die speziellen Vorgaben einlesen...

Für private Zwecke würde mir auch der "2. Blick von fachlicher Seite" ausreichen, also ohne Papier und Kosten (gibt ja keine Verpflichtung zur Abnahme beim Rad).
 
Argh.... bei Juristen muss man immer auf die Wortwahl achten :oops::D

Strafrechtlich okay, aber privatrechtlich, wenn es um Schdensersatz geht, dann ist das mit den "geeigneten" Sitzen ein Graubereich. Zugegeben, der Faden hier thematisiert mehr die strafrechtliche Seite der Personenbeförderung.

Und wie grau der Bereich im Privatrecht ist, zeigt sich ja leider bei Themen, wie Fahrradfahrerin ohne Helm trägt Mitschuld an Unfall.

Das eine hängt mit dem anderen eng zusammen. Ein Mitverschulden kann insbesondere dann angenommen werden, wenn eine Verkehrspflicht verletzt wurde, also insbesondere gegen eine StVO-Norm verstoßen wurde, und sich dieser Verstoß zumindest schadenserhöhend ausgewirkt hat.

Ich hatte mal über einen Unfall zwischen einem Panzer und einem nicht angeschnallten Autofahrer zivilrechtlich zu entscheiden. Da spielte der Verstoß gegen die Gurtpflicht letztlich keine Rolle, da die Bundesrepublik als Beklagte nicht nachweisen konnte, dass der Unfallgegner bei Beachtung der Gurtpflicht überlebt hätte.

Darüber hinaus, d.h. ohne Verstoß gegen eine ausdrüklich normierte Verkehrspflicht, kommt ein Mitverschulden nur in Betracht, wenn der geschädigte Verkehrsteilnhemer diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Er muss das beachten, was nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz notwendig ist. Ist nicht feststellbar, wie sich ein ordentlicher und verständiger Mensch hinsichtlicht des fraglichen Aspekts verhalten hätte, gibt's auch keine Mithaftung.

Der Bundesgerichtshof hat daher das von Dir in Bezug genommene Urteil des OLG Schleswig-Holstein auf die Revision hin daher auch aufgehoben. Wer will kann es gerne mal nachlesen. Die Logik ist eigentlich ganz nachvollziehbar (soweit ich das aufgrund juristischer Betriebsblindheit noch beurteilten kann). Solange das Tragen von Helmen beim innerörtlichen Alltagsradeln noch nicht allgemein üblich ist, begründet ein Verzicht auf den Helm beim innerörtlichen Alltagsradeln auch kein Mitverschulden.

Bezogen auf unser Thema hier: Die Mitnahme von Personen über 7 Jahren auf einem Fahrrad mit selbst gebauter Mitnahmemöglichkeit ist dann haftungsrechtlich riskant, wenn ein ordentlicher und verständiger Mensch nachweislich eine solche Mitnahmemöglichkeit nicht eingebaut hätte und sich die Verwendung dieser Mitnahmemöglichkeit nachweislich schadenserhöhend ausgewirkt hat.

Das Nachzuweisen ist natürlich eine hohe Hürde für den Unfallgegner. Auf der sicheren Seite ist man auf jeden Fall, wenn man sich den Einbau von einem Prüfingenieur hat absegnen lassen, wie hier mehrfach angeregt wurde. Aber auch sonst dürfte sich aus einem nicht hanebüchenen Eigenbau für ein Mitverschulden nichts ableiten lassen.
 
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