Irgendwie häng ich doch wieder voll in der Entscheidungsschleife...
Hallo Felicia!Vertragt 'Euch doch bitte wieder...
Ich kenne das: Rollenbremsen verursachen immer wieder hitzige Diskussionen. Mein erstes Lastenrad hatte Rollenbremsen (da habe ich diese noch ziemlich verteidigt), mein jetziges hat Scheibenbremsen (finde ich definitiv besser). Aber es kommt neben dem Rad, der Topografie und dem Einsatzzweck immer auch auf sehr persönliche Vorlieben von Nutzerin / Nutzer an. Daher kann keine Beratung hier eine Probefahrt ersetzen, das ist leider so.
Zu den Rollenbremsen gibt es Missverständnisse, die teils von der Industrie (Werbung) geschürt werden. Im Wesentlich reibt bei Rollenbremsen Metall auf Metall und weder die Bremsrollen, noch die Trommel sind als Verschleißteil zum Auswechseln konzipiert. Wenn man die Bremse kaputt bremst, wie es user schmadde passiert ist, dann kann man nur neu kaufen. Reparieren ist in der Regel unmöglich. Damit genau dieses Festfressen der Bremse durch Reibungshitze nicht passiert, empfiehlt der Hersteller Shimano das Fetten der Bremse mit einem (nicht ganz billigen) Spezialfett. Das sollte so ein- bis zwei Male im Jahr gemacht werden (es gibt auch die Empfehlung: Beim Auftreten von Schleifgeräuschen - so lange würde ich aber nicht warten wollen). Das Fetten dauert pro Bremse keine fünf Minuten: Wartungsnippel aufmachen, Fett reinpressen, bis es sichtbar herausquillt (mit Gefühl), Nippel wieder zu, fertig. Ein komplettes Auseinandernehmen und Reinigen der Bremse wäre gut (Abrieb und Dreck kommen eben auch zustande), aber diese Prozedur wäre sehr aufwendig. Unter dem Strich sind Rollenbremsen so günstig, dass nach einigen Malen Fetten und falls dennoch die Wirkung nachlässt, ein Ersatz wahrscheinlich günstiger kommt, als einen Fahrradmechaniker das Ding zerlegen zu lassen. Im Übrigen habe ich schon Fahrradmechaniker getroffen, die den Mechanismus der Rollenbremse (inkl. der Notwendigkeit zu Fetten) nicht kannten. Bei Scheibenbremsen sind Scheibe und Bremsbeläge von vornherein als Verschleißteile konzipert, vor allem letztere, werden bedarfsweise gewechselt, verursachen moderate Kosten und meistens kann man das gut selber machen (lernen). Die Hydraulikleitungen sind etwas kniffliger und es stellt sich angesichts von Zeitwaufwand und Spezialwerkzeug (Bremsflüssigkeit - große Gebinde relativ günstiger zu haben) immer auch die Frage, ob das Selbermachen lohnt (meine Lieblingsschrauber half mir beim Trekkingrad einmal für 35,-€, beide Bremsleitungen wurden befüllt, entlüftet, die eine schadhafte sogar repariert = gekürzt).
Außerdem müssen bei Rollenbremsen (wie bei allen Bremsen mit mechanischem Zug) die Bremszüge daraufhin kontrolliert und ggf. justiert werden, dass sie straff laufen. Mit noch geringem Spiel, ohne Schleifen, aber eben auch nicht zu lose. Das bekommt man schnell raus und insofern ist die Wartung einer Rollenbremse durchaus einfacher, als die Wartung einer Scheibenbremse mit hydraulischer Zuleitung. Auch, wenn letzteres ebenfalls keinen Atomphysik ist, sondern gut lernbar. Spezialwerkzeug benötigt man für die Rollenbremse nicht, das Fett fand ich nach etwas Suchen etwas vergünstigt im Internet (entscheidend ist, wie so oft, die Gebinde-Größe).
Die Krux ist, dass die Industrie die Rollenbremsen tatsächlich zuweilen als wartungsfrei bewirbt, das aber ist Unsinn.
Es gibt unterschiedliche Größen und Leistungsstufen bei den Rollenbremsen, das wurde hier erwähnt und ich kann dazu keine Erfahrungen beisteuern. Ich fuhr damals an einem Long John die kleinste Version der Rollenbremsen und war zufrieden gewesen. Ich bin aber auch recht defensiv gefahren. Nach einer notwendig werdenden Wartung (wie oben geschildert: Fett. Bremszüge) habe ich gestaunt, wie viel Reserve aus der Bremse herauszuholen war.
Eine weitere erwähnenswerte Besonderheit der Rollenbremse ist ihre nichtlineare Kraftentfaltung, vergleichbar mit Trommelbremsen bei älteren Autos. Bei zaghafter Betätigung und auf die ersten "eineinhalb Zentimeter" der Zugbetätigung hin tut sich nicht so viel. Wenn man mit Kraft zupackt, dann bekommt man die Bremse schon recht fest, teilweise auch zum Blockieren (das tut sie aber selten). Die Ausführung und ergonomische Montage der Handgriffe spielt hier eine vergleichsweise große Rolle, ebenso die gute Einstellung der Züge.
Zuletzt: Bauart-bedingt sind beim Long John die Züge für die Vorderradbremse immer recht lang. Bei hydraulischen Leitungen ist das bezüglich Wirkungsverlust weniger nachteilig als bei Drahtzügen, die immer etwas längen unter Benutzung (und das macht sie bei zwei Meter Zug, oder auch länger, eben deutlicher bemerkbar, als am Alltags-Fahrrad). Ein Nachteil aller Bremsen mit Drahtzügen.
Man kann ein Lastenrad sehr unterschiedlich benutzen. Was ich hier schon gelesen habe: mit 40-60km/h bergab und bestenfalls noch Kinder in der Box. Na, ja. Ich täte es nicht. Aber Bitteschön! Ich will es auch nicht aus der Ferne kritisieren. Ich bin derzeit sehr froh mit Scheibenbremsen und denke: Sicherheit geht vor. Den (für mich so empfundenen) Mehraufwand an Wartung und Kosten sowie die Unwägbarkeit einer schlecht selbst zu behebenden Panne auf Tour, diese Negativpunkte bin ich bereit zu akzeptieren. Meine persönliche Einstellung wäre daher, dass ich in Deiner Situation auf ein Scheibenbremsen-ausgestattetes Rad bis zum März 2019 warten würde. Wenn andererseits Probefahrt und Einstellung zu den Dingen, gerade auch angesichts des oben Angeführten, dahin gehen, dass Rollenbremsen in Ordnung sind: Warum nicht? Ein kleiner Bastlervorteil wäre noch, dass Rollenbremsen bei Ausbau und Einbau des Laufrades nicht Probleme mit der Justage machen. Kein plötzliches Schleifen durch leicht geänderte Winkel beim Wiedereinbau und so.
Betrachtet es nüchtern, technisch. Es geht nicht darum, im Recht zu sein oder anderen die Erfahrung einer eigenen Probefahrt zu ersparen (das geht auch nicht).
Beste Grüße!
Manuel
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