Kemper Lorri

AW: Kemper Lorri

Moin,
bin neu im Forum.
Da ich seit 3 Jahren ein Kemper Lorri fahre, gebe ich hier mal meinen Senf dazu ab (ist ne große Tube geworden):

Historie:
War mit dem Lastentransport im Alltag mit meinen bisherigen Rädern nicht zufrieden. Wollte nicht immer Packtaschen mitschleppen oder beim Abstellen des Rades mit abschließen müssen oder mit Umhängetasche/Rucksack radeln, sondern ein Rad, das es mir erlaubt Kleinigkeiten, aber auch Wochenendeinkäufe spontan erledigen zu können (Kartons gibt's ja in jedem Supermarkt).
Nach längerer Recherche habe ich mich dann für das Lorri entschieden. Klein, wendig, ausreichend Kapazität, einen Teil der Ladung im Blick und keine Beeinflussung der Lenkung - das waren so die gedachten Vorteile/Kaufgründe - gehofft hatte ich auch auf ein akzeptables Gewicht.

Gekauft
habe ich dann direkt bei Herrn Kemper nur Rahmen/Gabel und die Gepäckträger. Sonderwünsche wie große Reifenfreiheit, Schaltauge, Canti-Sockel auch hinten und die Farbe waren kein Problem, größerer Abstand Sitzrohr – Steuerrohr ging leider nicht, die 58cm sind aber ganz ok.
Geliefert wurde per Spedition.


Überraschungen:
  • Hatte mir RAL 6018 etwas weniger grell vorgestellt, vielleicht sind aber auch die Wasserrohre bei uns in der Firma nicht normgerecht gestrichen. Mittlerweile gefällt mir das Grün aber ganz gut.
  • die Verbindung Rahmen-Gepäckträger ist nicht mehr so gelöst, wie es auf den Bildern von Olaf Schultz aussieht. Kemper hatte sich da inzwischen für eine andere, billige und konstruktiv traurige (aber wie sich zeigte trotzdem haltbare) Lösung entschieden.
  • die Lampenhalterung vorne ragt weit vor. Anstatt die Lampe unter dem stabilen Frontträger zu schützen ist sie mit das allererste, was nach vorne hin Kontakt aufnimmt. (Bislang habe ich allerdings diesbezüglich keine Verluste zu verzeichnen)
  • Rahmen mit Gabel ca. 6kg, die Gepäckträger jeweils noch mal 2kg!!!
  • Hätte mir bei dem Preis etwas hochwertigere Verarbeitung gewünscht - zumal die Pedersen Räder von Kemper auf entsprechende Fähigkeiten seinerseits schließen ließen.
Zusammengebaut
habe ich das Rad mit Kellerbeständen, erweitert um 20" Teile, die ich u.a. über Pedalkraft.de bezog. Inzwischen habe ich die 8-Gang Kettenschaltung gegen eine 8-Gang Nexus Nabenschaltung mit Hebie Chainglider getauscht - ein weiterer Schritt in Richtung Wartungsarmut.
Sonstige Ausstattung (Breite Schutzbleche mit Spritzschutz, V-brakes vorne und hinten, HR-Nabe hat Freilauf, großer Korb vorne anstelle des Originalträgers, LED Rücklicht und Halogen Frontscheinwerfer, Nabendynamo vorne – gibt schon bei niedrigem Tempo satt Licht, 20“ LR sei Dank.

Gefahren
bin ich damit inzwischen ca 6000km. Unfall- und Pannenfrei, selbst die ersten 60mm Big Apples haben den Großteil davon (5500km) ihren Dienst getan - bei i.d.R. ca. 2 Bar Betriebsdruck (Komfort ist alles, auch Training)


Erfahren habe ich in dieser Zeit,
  • dass das mit dem Gewicht nicht sooo tragisch ist, derzeit wiegt das Ding ca. 21kg. Leichter würde dennoch nicht schaden und muss möglich sein, wenn man sieht, was Tandems wiegen und leisten. (in diesem Zusammenhangt finde ich gerade die holländischen Transporträder krass mit bis zu 40 kg Leergewicht! aber das führt hier zu weit...)
  • dass das Rad zu Lenkerflattern (Shimmy) neigt - abhängig von Beladungsverteilung, Beladungssteifigkeit (lose Schüttung oder festgezurrte Ladung) und Reifendruck (!). Das Flattern ist insofern nicht kritisch, als dass die zum Zäumen notwendigen Kräfte sehr gering sind - heißt nur, dass freihändig und, in Extremfällen, einhändig fahren nicht drin ist. Ist aber kein Problem, wenn man es weiß und entsprechend belädt oder fährt.
  • dass schwere Ladung (z.B. 40l Sack Gartenerde) nur auf dem hinteren Träger zusammen mit mir das Vorderrad ziemlich entlastet - längere Kettenstreben würden helfen
  • dass Personentransport aus demselben Grund kaum möglich ist (zumal das Opfer ohnehin rückwärts fahren muss)
  • dass die Lenkung bei schnell gefahrenen engen Kurven eine feste Hand am Lenker erfordern, da der ab einem gewissen Punkt gerne selbstständig weiter einschlagen würde. Ist aber dank Gewöhnung kein Problem.
  • dass die ESGE Zweibeinklappständer nix taugen, der "Monsterständer" von Hebie wohl.
  • dass in München Räder mit 20 oder weniger Zoll Reifengröße kostenfrei in U- und S-Bahnen mitgenommen werden dürfen. Angenehme Notfalloption.
  • dass Kinder sich enorm freuen über den großen Mann auf dem "Kinderfahrrad" und Erwachsene (v.A. vor Baumärkten) gerne: "selbstgebaut?" fragen
  • dass ich bislang keine unlösbare Transportaufgabe hatte (zugegeben: zu Ikea fahre ich mit dem Auto)
  • dass ich mich immer mehr über mit ihren Tüten und Taschen kämpfende "Normalradfahrer" wundere, bzw. warum nicht mehr Radfahrer „praktische“ Räder fahren.
  • dass 20” Laufräder sehr steif sind, weswegen ich froh bin die dicken, weichen Reifen zu fahren
  • dass ich es sehr schätze meine Einkäufe im Blick zu haben, gerade auf holprigen Wegen.
  • dass 20“ Big Apple Reifen erheblich mehr Dreck aus Pfützen auf die Füße werfen als schmale 20“ oder dicke 26“ Reifen. Scheint also eine ungünstige Kombination zu sein.
  • dass die Big Apple Reifen (nach meiner Erfahrung) die besten Nicht-Spike-Reifen bei vereisten Bedingungen sind
Würd’ ich’s wieder tun?
JA! Bin immer wieder froh über das Rad - auch wenn es Verbesserungspotential hat, es gibt nach wie vor nichts Konkurrenzfähiges. (=meine Idealvorstellung müsste ich wohl selbst bauen)

Es ist schön wendig, die Lenkung ist tatsächlich wenig von der Zuladung vorne beeinflusst (wenn man nicht zu viel und „flatterhaft“ geladen hat) und es macht richtig Spaß damit durch die Stadt (in meinem Fall) zu düsen. Mehr Reifendruck würde zwar noch mehr Geschwindigkeit bringen, aber eben auch weniger Komfort. (Letzteren könnte wohl auch eine gefederte Sattelstütze bringen, aber was wäre dann mit der kostbaren Fracht?)

Kurzum – für mich ist es ein sehr guter Kompromiss!

Lob an die noch nicht Eingedösten oder Abgeschweiften,
joerg
PS: zur Belohnung noch was zum anschauen.
 

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AW: Kemper Lorri

Interessanter Bericht. Was mich interessieren würde: Wie empfindest du das Rollverhalten der 20 Zöller?

Ich habe in meinen Beständen auch ein Family-bike Eltern-Kind Tandem sowie von Graziella ein Tandem und ein Triplet in 20". Die haben jeweils Billigbereifung drauf, aber subjektiv muß man da ganz schön kräftig reintreten. Liegt das am 20" Durchmesser oder an den miesen Schluffen?

Was mir übrigens aufgefallen ist: Bei den 20" Rädern kann man relativ gefahrlos bepackte Einkaufstüten an den Lenker hängen. Sie baumeln zwar herum und stören die Lenkung, kommen aber nicht ins Vorderrad.
 
AW: Kemper Lorri

Moin,
20" rollen natürlich nicht so gut wie 26" LR. Je schlechter der Untergrund, desto deutlicher wird der Unterschied.

Aber bei flotter Fahrweise ist der Luftwiderstand ohnehin das Hauptproblem.

Außerdem beschleunigen kleine LR wesentlich besser. Vom Gefühl her komme ich mit meinem Lorri, trotz des Gewichtsnachteils, besser auf Geschwindigkeit als mit meinem MTB, mit meinem Dahon Faltrad sowieso.

Das von Dir beschriebene notwendige kräftige Reintreten kann gerne auch an "schlechten" Antriebskomponenten, Ketten etc liegen, zumal beim Tandem. Diesbezüglich ist mein MTB dem Faltrad deutlich überlegen.

Auch wenn Taschen am Lenker nicht ins VR kommen können, halte ich es für keine praktikable Lösung. Wofür gibt's denn cargo-bikes? ;)
Gruß,
joerg
 
AW: Kemper Lorri

Danke für den ausführlichen Bericht!

Das mit der Scheinwerferbefestigung ist bei Olaf's Lorri genauso, nur hat er die vordere Platte halt noch weiter herausgezogen.

Das mit den Gepäckträgerflanschen schaut mit nach einen Rückschritt aus:

* hier die "breite Version" auf Olaf Schulz' Lorri, welches er 2005 gebraucht erstanden hatte
* hier die aktuelle Version von der Kemper Webseite


Vielleicht bin ich gerade wieder nachtblind (ich hab nur Cantileversockel gelesen) - was fährst Du für Bremsen? Normale V-Brakes mit Seilzug?
 
AW: Kemper Lorri

Super Portrait eines wirklich guten Lastenrades!
Danke!
Vor allem der Aspekt, der kompakten Bauweise und der damit verbundenen vielseitigen Transportmöglichkeiten im ÖPNV stellen ein Alleinstellungskriterium dar.
Auch läßt sich das Rad gut im heimischen Keller abstellen - das geht ja längst nich mit jedem Lastenrad.;)
Übrigens war das Lorri auch mal vom ADFC zum "Rad des Jahres" gekürt.

Grüße
Mick
 
AW: Kemper Lorri

Moin,
ja, das Rad hat vorne wie hinten normale V-brakes (nutzen dieselben Sockel wie die alten Cantileverbremsen, mir ist keine Um- oder Neubenennung bewusst) und entgegen der Abbildung derzeit eine Nexus 8-fach Nabenschaltung mit Freilauf.
Räder mit Rücktrittbremse kann ich nicht fahren.
Gruß,
joerg
 
AW: Kemper Lorri

First off, sorry I don't know German. I took it for 2 years in high school, but that doesn't mean anything.
I might purchase a Lorri as it'll soon be available in North America through Vancouver Long Bikes or possibly Joe Bike.
Thank you Kuhli for your review and pictures. I just wanted to make sure I understand your review: Google translate is not perfect.
You cannot transport another person on either the front or the rear rack because the frame will not hold the weight?
Cargo on the rear rack often causes heel strike?
The small wheels cause a jarring ride?
There is shimmy whenever there is cargo on the front rack?
Does the rear derailleur ever hit anything being so low?
Thanks!
 
AW: Kemper Lorri

Hi Tubberus,
no worries, your questions won't be left unanswered.
Unfortunately Google translate is far from perfect.

-You cannot transport another person on either the front or the rear rack because the frame will not hold the weight?
Strengthwise you can easily transport another person.
I haven't tried the front rack, as I mounted the basket, but I could imagine it working (be aware of interference of persons back with handle bar and the persons feet with the front wheel potentially) Don't think it is a good solution.
A grown up passenger on the rear rack will have to sit backwards and lean againstyour bottom. This will however bring most of the load on the rear wheel, so your front wheel has hardly any traction. This requires you to lean forward. The longest distance I carried a guest (lighter than me) like this was 2km at 15kph. So it's ok for emergencies.

-Cargo on the rear rack often causes heel strike?
The rear rack is high enough to prevent heel strike. No problems here.

-The small wheels cause a jarring ride?
The small wheels are very stiff. benefit: they're indestructible. downside: riding comfort suffers with high tire pressures. I use 60mm wide tires at <2bar pressure to take care of that.

-There is shimmy whenever there is cargo on the front rack?
Shimmy is not connected to load on the front rack, but to several parameters: front/rear load ratio, tire pressure, stiffness of the load (strapped down tightly vs. loose stuff in the basket). Higher pressure in the rear tire helps a lot against shimmy, for the loads I haven't yet found good rule of thumb. BUT: the shimmy doesn't require high forces on the handle bar, so it's fairly easy to deal with. Don't ride "no hands".

-Does the rear derailleur ever hit anything being so low?
Haven't damaged the derailleur. Don't see the connection to riding speed. Switched to internally geared nexus 8-speed hub two years ago for other reasons.

Would I do it again? Yes!
Hoping I could help and with best regards,
joerg
 
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AW: Kemper Lorri

Moin,
zum Abschluss noch ein letztes Fazit, bevor ich das Rad abgebe.

Der Grund des Wechsels:
- Kindertransport ist auf dem Lorri nicht vernünftig möglich

Was ich nicht vermissen werde:
- die stark unterschiedlichen Fahreigenschaften je nach Beladungssituation (zB Hauptgewicht auf Heckträger) bei höherer Zuladung nervt dann doch irgendwann
- die Rolleigenschaften von den kleinen Laufrädern (mit in meinem Fall wenig Druck in dicken Reifen) machen auf längeren Strecken v.a. auf den hier öfters geschotterten Radwegen keinen Spass - pumpt man sie weiter auf, wäre der Einsatz einer Sattelfederung unumgänglich.

Was ich vermissen werde:
- es ist halt einfach schön kompakt, superwendig, beschleunigt gut und hat trotzdem deutlich mehr Zulademöglichkeiten als mein Faltrad (für das die ersten 3 genannten Punkte erst recht zutreffen)
- den (relativ) tiefen Durchstieg

Was ich verbessern würde:
- Den Hinterbau um 10 cm verlängern, das sollte die manchmal eigenartigen Fahreigenschaften und damit auch die Zuladung verbessern. Außerdem wäre dann ein Kindersitz möglich ohne steigendes Vorderrad. Das Lorri wäre dann immer noch kürzer als ein "normales" Rad.
- Das Rohr vorne kürzen, so dass die Lampe geschützt ist.
- Die Trägermontage am Rahmen wieder auf die ursprüngliche Form ändern, oder die Filibuslösung.
- Den Abstand Steuerrohr - Sitzrohr vergrößern (Es ist meiner Meinung nach einfacher mit geeigneter Komponentenwahl zu lange Rahmen anzupassen, als zu kurze)
- vielleicht doch mal über Wandstärken der verwendeten Rohre (im Hinblick auf Gewicht) nachdenken


Die Wartungs- und Reparaturarbeiten bis dato:
- nach 2000 km habe ich die 8 Gang Kettenschaltung gegen eine Nexus 8 getauscht. Des Pflegebedarfs und der Hosenbeine wegen.
- bei 6000 km die Reifen
- bei 8000 km die hintere Felge (durchgebremst)
- bei 8000 km Schaltzug + Hülle, dito für die hintere Bremse
- bei 10000 km die V-brakes auf ihren Sockeln gefettet, sie drehten sich nicht mehr ganz freiwillig.
- bei 10000 km ein neues Innenlager eingebaut, das Alte (shimano deore) klapperte
- bei jetzt 12000 km (10000 km für die Schaltung) wäre wohl ein neuer Schalthebel für die Nexus nötig, die meistbenutzten Gänge rasten nicht mehr sauber ein
- der zweite Satz Reifen hat weniger Schnitte und wird somit mehr als die 6000 km des ersten Satzes schaffen
- insgesamt 3 Sätze Bremsklötze
- ca eine Birne fürs vordere Licht pro Jahr
Ansonsten hat das Rad außer den quartalsmäßigen Kettenölungen keine Pflege bekommen.

Waren fünfeinhalb schöne Jahre.
 
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