Hagen Flagship E-Cargo Bike Review

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TL;DR: Ein schönes, sportliches Bike mit tollem Antrieb. Eher was für Leute die etwas Besonderes suchen und gewillt sind, etwas Zeit zu investieren bis es passt.

Stärken:
  • Super Antrieb
  • Schön sportliche Sitzposition
  • Fährt sich agil
  • Schöne GPS-tracking Funktion
  • BlaqPaks Regenverdeck (nicht Serie)
Schwächen:
  • Komponentenauswahl
  • Lenkerflattern auf schlechten Straßen (durch Viscoset gelöst)
  • Rahmendetails
  • Dokumentation
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Für alle mit etwas Muse und Interesse:

Zu mir/uns: Ich wohne mit meiner Familie seit 2018 in Seattle. Unsere Töchter sind 2,5J und 10M alt. Ich fahre seit langem Rad – früher Ironman und Rennrad, heutzutage mehr Gravel und CX. Ich bin knapp 2m gross und meine Frau 1m70, was für unsere Kaufentscheidung relevant ist. Ich habe ein Faible für Fahrräder, habe über die Jahre so manches Custombike aufgebaut und habe recht ausgeprägte Vorstellungen davon, was ich möchte und was nicht.


Was wir von einem Cargobike wollten:

Wir wollen mit dem Cargobike vor allem unsere Kleinen in die Kita bringen, in der Umgebung unterwegs sein und einkaufen. Ziel ist es das Auto öfters stehenlassen. Das Rad muss bei gutem und schlechtem Wetter weitestgehend wartungsfrei funktionieren und auf schlechten, oft steilen, Straßen zurecht kommen. Meine Frau und ich sollten beide gut drauf passen.

Wir wollen die Option haben das Rad in Zukunft mit nach Europa zurückzunehmen. Die Unterstützung bis 20 Meilen (32kmh) auf 25kmh umstellen zu können war uns wichtig. Wegen der steilen Hügel hier ist ein guter E-Antrieb Pflicht und wegen des Wetters hatte ich mich auf Riemenantrieb festgelegt. Ich habe mit Rohloff geliebäugelt, aus Kostengründen aber davon abgesehen.

Ich hatte mir Longtails angesehen, fand Longjohns aber besser weil die Kinder besser vom Wetter geschützt sind und man besser mit ihnen sprechen kann.


Die nähere Auswahl:
Für uns kamen neben dem Hagen noch das Urban Arrow, Bullitt, und Load 75 in Frage. Viele Marken, die es in Europa gibt findet man hier leider nicht. Die Räder sind hier unsäglich teuer – ein Urban Arrow mit Regenverdeck und Riemenantrieb hätte nach Steuer circa 9500 USD gekostet, ein Load 75 wäre wohl eher so im Bereich 12000 gelandet, das Bullitt hat schon letztes Jahr 9900 mit Kettenschaltung gekostet, und gab es nur mit einer Holzbox.

Wir hätten beinahe ein Urban Arrow gekauft, aber die extreme Hollandrad Position, vor allem der superflache Sitzwinkel, haben uns abgeschreckt. Ich habe mit Kindern und Arbeit wenig Zeit zum Radfahren, deshalb sitze ich gerne „aktiv“ auf dem Cargo Bike, anstatt rumzugondeln.


Warum wir uns für das Hagen entschieden haben:
Da mir das Bullitt ganz gut von der Sportlichkeit her gefallen hatte fand ich das Angebot von Hagen recht verlockend: Guter Preis, sportliche Sitzposition, guter Antrieb, dicke Reifen. Die Verschiffung in die USA war ziemlich teuer, aber trotzdem sollte uns das Rad circa 1500 USD weniger als ein Urban Arrow kosten, und wir konnten uns die Farbe auswählen.


Wie der Kauf verlief:
Unser Hagen war das erste, dass in die USA geliefert wurde. Wegen des Versands per Luftfracht wurde es zerlegt und ich musste es aufbauen. Leider zog sich die Verschiffung ziemlich hin: Nachdem das Rad fertig war, stand es fast 2 Wochen rum bis es auf einen Flieger kam. In den USA dauert das Prozedere nochmal über eine Woche und kostete uns fast 1000 USD, weil der Zoll eine Untersuchung des Pakets angeordnet hatte, die mit sportlichen 700 USD zu Buche schlug. Das hat einen guten Batzen des Preisvorteils gekillt.

Beim Aufbau wurde es offensichtlich, dass Hagen noch eine junge Firma ist. Ich bekam null Dokumentation, nur eine Menge Schrauben und Muttern. Nach einigem Email hin und her hatte ich die meisten Dinge raus. Ein etwas doofer Fehler ist trotzdem passiert: Ich dachte, dass die Lenkstange mit dem „Ellbogen“ möglichst weit weg vom Vorderrad montiert werden sollte, rotierte die Lenkstange also „hoch“. Was ich nicht wusste war, dass die Lenkstange dann beim abbocken mit dem Ständer kollidiert und bei Schlaglöchern an die Box schlägt. Mittlerweile ist das korrigiert, hat aber etwas Lack am Ständer und der Lenkstange gekostet.


Fazit nach 500km:
Wir haben richtig Spaß mit dem Hagen! Die Sitzposition ist schön sportlich und wir haben die Geometrie des Durchstiegsmodell so angepasst, dass es ganz gut für meine Frau und mich passt: Ich habe ein paar cm Drop zum Lenker, sie hat den Lenker höher als den Sattel. Im Vergleich zum Load75 meines Kumpels fährt es sich etwas agiler – man merkt den kürzeren Radstand. Trotz der schlechten Straßen hier in Seattle (oftmals aus gerissenen Betonplatten) ist das Bike nicht unbequem. Der Stahlrahmen und die dicken Reifen reichen mir aus. Die Box ist nicht riesig, reicht aber für unsere Bedürfnisse aus. Unsere Töchter sitzen extrem gerne drin.

Der Antrieb ist ein Highlight für mich: Der Brose Motor setzt sehr unauffällig ein, ist leise, und hat mit 90Nm ziemlich Wumms. Ich fahre meistens im Tour Modus, ab und zu Eco wenn es flach ist, und Sport wenn es steil wird. Boost macht bei mir keinen Unterschied zu Sport, meine Frau merkt einen. Ich kriege mit der Batterie ca 60km Reichweite hin, weil es hier ganz gut hoch und runter geht. Im Flachen wären es eher 80km, schätze ich.

Wir haben am Hinterrad die Enviolo Automatiq. Das war eine Überraschung (ich dachte wir würden die normale Version kriegen), im Nachhinein bin ich sehr glücklich drüber: Die Nabe lässt sich prima per App einstellen und updaten und sie macht das Fahren extrem easy. Ich habe die Trittfrequenz auf 80 eingestellt und sonst muss man sich nicht um viel kümmern. Man kann über einen Shifter die Trittfrequenz hoch und runter stellen, mache ich aber selten. Der Shifter ist auch nicht besonders toll – die leds sieht man im Sonnenlicht kaum und man weiss nie so recht, ob geschaltet wurde oder nicht.

Das Rad kommt mit einem GPS Tracker und einer Hagen App. Die App finde ich nicht besonders nützlich, bis auf die „Fahrzeug finden“ Funktion. Die ist cool – ich hoffe ich werde sie nie brauchen, um mein Rad wiederzufinden.

Im Vergleich zum Auslieferungszustand habe ich einige Veränderungen vorgenommen: Als erstes habe ich das Rücklicht hinten auf das Schutzblech gesetzt Hagen montiert es links im Bereich der Hinterradnabe, was mir nicht gut genug sichtbar ist. Ich habe auch ein Speichenschloss und Gepäckträger montiert, wobei ich hier auf Adapter zurückgreifen musste weil der Rahmen keine Montagepunkte für das Schloss hat. Das sollte bei einem Cargobike schon sein.

Bei Abfahrten auf schlechten Strassen habe ich zu Anfang öfters Lenkerflattern bekommen. Ich habe ein Viscoset nachgerüstet, das hat das Problem abgestellt. Würde ich allen empfehlen, die nicht im Flachland fahren.

Als weitere Modifikation habe ich einen pinken LED Schlauch unter die Box montiert, der Nachts eine Unterbodenbeleuchtung erzeugt. Die Batterie steckt in einer kleinen Box an der Hinterseite der Kiste, in der ich auch eine Kette und ein Multitool habe. Funktioniert super und macht uns etwas sichtbarer.
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Die Kiste ist recht funktional, die Sitze so lala. Die Gurte der Sitze sind allerdings suboptimal: Die Schultergurte lassen sich ohne etwas Bastelei nicht weit genug kürzen und das Gurtschloss ist viel zu weit vorne auf der Sitzfläche angenäht. Unsere Kleine wäre unweigerlich nach vorne gerutscht und wäre schief drinnen gehangen. Wir haben das dadurch gelöst, dass wir einen Sitzeinsatz von Burley aufgesetzt haben. Letztens ist das Gurtschloss nicht besonders nutzerfreundlich – ich überlege Fidlock Juniors zu montieren. Bei den Sitzen könnte Hagen ohne großen Aufwand deutlich nachbessern.

Beim Verdeck haben wir uns für ein Blaqpacks Verdeck aus Portland entschieden. War etwas teurer als das von Hagen, gefällt mir aber extrem gut: Es lässt sich ruckzuck montieren, die Fidlockverschlüsse sind genial zum ein- und aussteigen, die Kleinen können super rausschauen, und es reicht über den Lenker, schützt somit auch die Hände.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem Rad ist die Komponentenauswahl: Das Hagen wurde mit einem 780mm breitem Endurolenker mit 35mm Klemmung geliefert. Viel zu breit für den Einsatz, finde ich. Leider kann ich nicht unter 650mm kürzen, weil der Lenker zur Mitte hin zu dick wird und die Bremsen und das Brosedisplay nicht mehr montiert werden können. Die Bremensen (Shimano BR-MT400) sind mir auch etwas zu schwach für unsere steilen Strassen. Ich hatte bei Bestellung nach einer 4-Kolbenbremse gefragt, Hagen hat mir aber einen sehr hohen Upgradepreis genannt. Werde wohl ein MT520 vorne montieren. Das vordere Schutzblech finde ich auch zu kurz: Im Regen sprüht es vom Vorderrad in die Box. Hagen hat mir netterweise ein längeres Schutzblech geliefert, das muss ich noch montieren. Zuletzt finde ich den Sattel etwas strange: ein sehr schmaler (130mm) Renndrad Sattel. Passt für mich einigermassen, ist aber wirklich am extremen schmalen Ende des Spektrums.

Jetzt fällt mir nix mehr ein. Wer es bis hier geschafft hat – gratuliere :p.
 
Super, danke für den tollen Bericht!
Mich interessiert das Hagen auch (vor allem das XL). Neben dem Radkutsche Rapid, wäre das einer meiner Favoriten. Ich mag den Stahlrahmen bei beiden Rädern und dass man viel laden kann.
Mir wäre aber die Sitzposition wahrscheinlich zu sportlich, hab einen leichten Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule. Könnte man das Hagen theoretisch auch so einstellen, dass man etwas aufrechter sitzt?

Viele Grüsse und weiter viel Spass mit dem Hagen!
 
Interessant- warum? Vorderrad wird doch immer stärker belastet beim bremsen, auch wenn der Schwerpunkt recht weit hinten ist? Ich habe auch nur vorne einen schwammigen Druckpunkt.
Ist hier so ca 50/50 das Lager. Ich bin auch das Lager vorne 4 Kolben hinten reichen locker 2.
Durch die andere Gewichtsverteilung beim LongJohn ist es aber schon so, dass hinten mehr als die üblichen 10-20% ankommen. Deswegen allerdings hinten die stärkere Bremse zu montieren halte ich weiterhin für nicht richtig. Ich farhre auch vorne 4 und hinten 2 Kolben am Bullitt.

Und Danke für deinen ausführlichen Bericht. Lese gerne die Details (y)
 
Interessant- warum? Vorderrad wird doch immer stärker belastet beim bremsen, auch wenn der Schwerpunkt recht weit hinten ist? Ich habe auch nur vorne einen schwammigen Druckpunkt.
Vorderrad überbremst bei meinem recht schnell. Vor allem beim leeren Rad schneller am Blockieren als hinten. Beim stärkeren Bremsen mit Last in der Box werden zumindest bei mir mit Federgabel die Verwindungen der Gabel ziemlich heftig, so dass das Fahrgefühl besonders in Kruven bergab schwammig und unangenehm wird.
 
Wie schnell wir vom Hagen auf die Brems-Philosophie gekommen sind :D
Bei mir werkeln Doppelkolben von/hi. Hinten neu auf 203mm seit ca. 10 km.

Edit: ich finde ja die Farbe vom Themenersteller-Hagen durchaus bemerkenswert. Im positiven Sinne.
 
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