Hallo Paul,
ich habe ein paar Tage gezögert mit einer Antwort an Dich, weil Du ein - wie ich finde - großes Thema ansprichst, welches weit über eventuelle Reparaturen am Bullitt hinausgeht. Gerne will ich Dir ein paar Zeilen zu eurem tollen Plan schreiben. Ich muss Dir aber zum besseren Verständnis ein paar Sätze zu mir, zu uns voranstellen.
Unsere Kinder sind jetzt 4 und 6 und sie kennen das Lastenrad-Mitfahren seit dem Alter von 0 respektive 2 Jahren. Ich habe seit 2014 ein Long John in Nutzung, die längste Zeit davon ein Bullitt. Die Kilometer habe ich nicht gezählt, es sind einige. In 2017 und 2018 haben wir jeweils eine Familienradreise Berlin-Ostsee und zurück gemacht, jeweils mit dem Bullitt als Lastentransporter und dem gut gefederten Kinderanhänger für die Kleinen (sofern sie nicht selbst gefahren sind). Die Kinderräder kamen teils zum Gepäck in der Bullitt-Box hinzu (frag bitte nicht, was das wog). Wir fuhren auch etliche kürzere Touren um Berlin. Ich kenne Griechenland gut und bereise es gerne und oft. Ich kenne Kreta, gerade auch den Süden, weiß um die bergige Beschaffenheit der Wege vom Norden herüber. Ich kenne griechische Fähren (mittlerweile sind es ja viele Schnellfähren). Ich bin den langen Weg von Deutschlang nach Athen tatsächlich schon einige Male auch per Auto oder Zug gefahren, anstatt zu fliegen. Das Klima in Griechenland (Festland und Kreta) zu eurer Reisezeit ist mir vertraut.
Die Technik vom Bullitt ist sehr robust und um einen Ersatz für eine 26" Felge / Bereifung / Technik würde ich mir weniger Gedanken machen. Ich würde allerdings der Steigungen wegen eine Kettenschaltung bevorzugen, was zugleich die Reparaturfreundlichkeit positiv beeinflusst. Dem Rahmen würde ich alles Mögliche zutrauen, dem bereits zur Lenkstange hier Geschriebenen stimme ich zu 100% zu. Bremsen, Lenker, Licht - nun, ja, keine unlösbaren Probleme. Die Hydraulikleitung nach vorne ist Überlänge und ein Ersatzteile wöge nicht viel. Dass ggf. Ersatz für eine robuste 20" Vorderradfelge unterwegs etwas schwerer zu beschaffen sein dürfte, das könnte stimmen. Andererseits kann man sicher auch hier improvisieren oder bestellen und auf Teile warten. Mäntel für vorne und hinten als Ersatz wiegen nicht so viel und könnten bei der langen Reise ggf sinnvoll sein, dann sitzt man nicht fest unterwegs. Kette, Kettennieter, vernünftiges Werkzeug - na, Du weißt schon. Sehr gut ist ganz abgesehen davon, wenn man sein Rad vor Reiseantritt gut kennt und um die Schachstellen weiß. Wenn die Speichen sich gut gesetzt haben, und so weiter.
Bei mir ist in den Jahren der Bullitt-Nutzung unterwegs genau das eine passiert: einmal ein Plattfuss hinten, trotz Schwalbe Marathon Bereifeung. Der Nagel war fett gewesen. Sonst Nix! Dass es sich unabhängig davon lohnt, unterwegs immer mal das Rad durchzusehen und ggf. hier und da was nachzuziehen oder einzustellen, das versteht sich von selbst. Selbst gute Lastenräder sind unterwegs mit viel Gepäck letztlich ganz schöne Klapperkisten (wörtlich zu verstehen).
Eine schnell mit Flügelschrauben demontierbare Transportbox vorne hat sich als sehr günstig erwiesen. So kann man das Bullitt mal eben kleiner und vor allem leichter bauen und dann die beladene Box und das Rad einzeln versetzen (haben auf eine Fähre an Deck rübergehoben oder einen eigentlich zu kleinen Fahrstuhl nutzen können). Das sind übrigens auch genau die Gelegenheiten, wo ein Gespann (Rad plus Hänger) Vorteile ausspielt. Apropos Gespann: Oft haben wir der Gerechtigkeit und Lastenverteilung halber den Kinderhänger an das Rad meiner Frau gehangen (sie ist übrigens irgendwann auf E-Bike gewechselt), aber ich habe am (Biopower-) Bullitt auch eine Hängerkupplung und in der Ebene fährt sich das (auch schwer beladen) mit Hänger immer erstaunlich gut. Vor allem viel weniger nervös, als mit kürzerem und leichterem Zugfahrrad. Steigungen, auch leichtere und dafür längere, können übel werden.
Den Schwerpunkt meiner Überlegungen und ggf auch Bedenken zu eurer geplanten Reise würde ich auf die Kinder setzen, nicht auf die Bullitt-Technik. Federung (!), Kinderrücken, Sitzposition, Ruheposition, Sicherheit, wie hält man längere Strecken durch, Unterhaltung, Sonnenschutz (!), Windschutz (!), Schutz vor Kälte, Abwechslung unterwegs. Und natürlich ist die Wahl der Strecke mit beladenen Lastenrad, zumal mit Kindern im Schlepp, das A und O. Bedenke bitte auch (vielleicht habe ich Dich da falsch verstanden, korrigiere mich sonst): Ein Kindersitz noch hinten auf dem Bullitt drauf bekommt viele Stösse ab. Der Hinterbau dieses Cargobikes ist sowieso schon sehr kurz geraten und das Kind sässe wirklich direkt über Achse. Bei steifem, ungefederten Alurahmen und wahrscheinlich harter Pannenschutzbereifung ist das kein Spass und eher nicht langstreckentauglich. Athen nach Deutschland? Was für Touren-Vorerfahrungen habt ihr eigentlich (mit/ohne Kind, Kindern)?
Zum Schluss, durchaus versöhnlich gemeint, als Handreichung und auch Ausdruck von großem Respekt eurem Vorhaben gegenüber, eine kleine Seglerweisheit. Gemünzt auf Weltumsegler. Solche, die wirklich aufbrechen, aber auch solche, die es letztlich doch nicht tun:
Die, die losfahren, sind oft schlecht vorbereitet und die, die sich gut vorbereiten, fahren nie los.
Ist - meiner Erfahrung nach - was dran.
Beste Grüße von Manuel (der nie die Welt umsegelte, nur Ostsee und Mittelmeer, der nur zwei, drei Bundesländer erradelte und nicht Europa)!