Moin zusammen,
das ist ein sehr spannendes Thema wie ich finde, bei dem ich leider immer wieder auf Widerstände stoße.
Aber mal ganz von vorne -
Achtung, viel Text! Wer direkt zum Thema möchte, kann gerne ab Punkt 6 weiterlesen
1. Aufgewachsen in einer Kleinstadt in S-H (in der ich wieder wohnhaft bin), war das Radfahren als Jugendlicher die einzige Option irgendwo hinzukommen.
Mit dem Beginn eines Kurierdienstes im Alter von 16 Jahren wurde die Leidbereitschaft bei jedem Wetter mit dem Rad fahren zu müssen bereits gestärkt. Mit 18 folgten leider durch den Erwerb des Führerscheins eine gewisse Sympathie zum Auto, was dann - sofern verfügbar - bei ach so kleinen Distanzen bewegt wurde. Man wollte ja cool sein
2. Mit dem Beginn des Studiums wurde wieder Rad gefahren, diesmal im sehr bergigem Gelände, was eine Umgewöhnung mit sich brachte.
Damals ausgestattet mit einer Alu-Gurke, erworben bei einer Fahrradauktion war das Fahren eher Mittel zum Zweck. Richtig Spaß brachte es nicht, die Investition in ein vernünftiges Rad habe ich mir gespart. Ich war gebrandmarkt, 10 Räder wurden mir bis dato geklaut...
Erst durch den Umzug in die Hansestadt Hamburg brachte eine signifikante Veränderung mit sich.
Ich machte einen Motorradführerschein, fuhr erst viel damit rum, bis ich gemerkt habe, dass gedrosselt fahren doch nicht so cool ist.
Und im Stau stehen ebenfalls nicht
3. Also gings wieder aufs Rad - ich lernte die Singlespeed und Fixie Szene kennen, baute mir meine ersten Rennräder auf und nahm jede Strecke mit dem Rad auf mich. Außer es war so verschneit, dass ich dank meiner 23 bis 28mm Reifen die extrem langsamen Öffis nehmen musste. Jaaa - um 2010 bis 2012 rum gab es in Hamburg noch Schnee, liebe Kinder.
Mein Fahrradfetisch wuchs, ich hatte zum Teil sogar 12 Räder stehen, baute auch ein, zwei Räder für meine damals-Freundin-jetzt-Frau zusammen.
Es wurde auch fleißig Bahnrad auf der Bahn gefahren, das vermisse ich tatsächlich mit am meisten an Hamburg (und die Kneipen).
Lange Touren wurden auch gern gemacht. Meine Lieblingsstrecke war zu meinen Schwiegereltern nach Mecklenburg. Da habe ich gerne bis zu 160km am Tag gerissen. Vom aktuellen Wohnort sind es 211 km, das habe ich dieses Jahr Anfang April bei sehr wechselhaftem Wetter geschafft
4. Irgendwann kam ich in den Genuss eins der ersten R&M Packster Probe zu fahren, da hatten wir bereits ein Kind und ich konnte sie damit herumkutschieren.
Ich war so ziemlich gegen Lastenräder - sperrig, teuer, kriegst du nicht in einen Keller, aber die Probefahrt hatte mich überzeugt.
Ich musste ein eigenes haben, also wurden zusammen mit meinem Vater dann insgesamt 7 Lastenräder upgecycelt. Die ersten habe ich in Hamburg noch in den Keller tragen müssen, das war echt anstrengend.
5. Mittlerweile leben wir wieder in der besagten, flachen Kleinstadt. Ich fahre jeden (möglichen) Meter mit dem Rad oder gehe zu Fuß.
Das Auto wird leider noch regelmäßig bewegt, da meine Frau und ich je ein Mal die Woche nach Hamburg zum Arbeiten müssen. Die Anbindungen mit der Bahn sind dabei einfach nicht akzeptabel. Für Reisen innerhalb Deutschlands wird das Auto weiterhin bewegt, aber immerhin ist es dann mit Hund und Kind so ziemlich voll und halbwegs mit meinem Gewissen vertretbar.
6. Jetzt aber zu dem Kernproblem:
Meine bessere Hälfte fährt nicht so gern Rad. Die Bring und Holtouren mit dem Kind erledige ich zu 90% mit dem Lontail.
Das Wetter bei uns ist sehr rau und mistig, im Sommer wird aber das E-Bike öfter von ihr benutzt. Aufs Lastenrad steigt sie nicht.
Sofern es nicht regnet, kann ich meine Frau auch überreden mit dem Rad zum Essen, bzw. in die Stadt zu fahren. Tatsächlich machen wir aber das meiste dann zu Fuß, da dann unsere Hündin mitkommen kann.
Meine Frau unterstützt mich in dem Vorhaben
die Welt zu retten und überredet auch unsere Tochter, wenn sie gerade keine Lust auf Radfahren kann. Wenns natürlich aus Eimern gießt, fahre ich meinem Kind zuliebe mit dem Auto.
Meine Familie ist da etwas gleichgültig, manchmal aber ohne Verständnis, wenn ich das Kind bei "Kälte" und "Wind" durch die Gegend fahre.
Das Auto ist hier (wie in weiten Teilen Deutschlands) leider, leider ein Statussymbol und eben ein "Problemlöser". Viele sind zu bequem und unbedarft aufs Rad zu steigen. Unsere kleine Critical Mass-Gruppe hat sich seit Monaten nicht mehr zusammengefunden, neue Leute zu akquirieren ist ein Ding der Unmöglichkeit.
7. Insgesamt bin ich mittlerweile etwas resigniert und versuche nicht mehr so verbissen zu sein.
Ich versuche stets mit gutem Beispiel voran zu gehen und meine Mitmenschen durch Aufrufe, WhatsApp-Status und Berichte mehr aufs Rad oder zum Sport zu bewegen. Den ein oder anderen habe ich tatsächlich zu regelmäßigen Joggingeinheiten angestiftet.
Sobald die Menschen merken, was alles möglich ist mit eigener Muskelkraft und dass es nicht weh tut bei Regen vor die Tür zu gehen, ist einiges machbar. Viele haben hierbei allerdings eine undurchdringbare Barriere gespickt mit zig Ausreden und Wehwehchen.
Und ja - ich bin hier schon eine Art Attraktion mit meinen Lastenrädern, aber dass jemand sich ebenfalls eins kauft und damit durch die Gegend gurkt, ist mehr als unwahrscheinlich.
8. Fazit:
Ich bleibe weiterhin bei dieser Mobilität, sie ist günstig, schont die Umwelt und hält mich fit. Ich habe unglaublichen Spaß daran Rad zu fahren, obgleich die Aggression und der Autoverkehr immer weiter zunehmen.
Bikerherz statt Merz!
So, sorry für den langen Text, aber das wollte ich mir von der Seele schreiben
