Die Werkstattabenteuer der Kaffeetanne

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Seit gut 10 Jahren begleiten mich Lastenräder sowohl privat als auch beruflich auf meinen wegen. Dabei handelt es sich nicht um "irgendwelche" Lastenräder, sondern eine ganz spezielle Spezies.

Jeder von euch kennt & sieht Sie regelmäßig, denn Sie surren täglich zu tausenden durch die Straßen der Republik, aber bewußt wahr genommen werden Sie selten. Die Rede ist von Posträdern!
Es gibt Sie in zahlreichen Formen, und mitlerweile kommen Sie meist mit elektrischem Rückenwind daher. Aber über die technischen Details ist meist nur wenig bekannt.

Und deshalb möchte ich euch hier einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen gewähren. ;-)
Eines sei dabei bereits vorab gesagt: Ihr werdet hier Dinge zu sehen bekommen, bei denen lacht ihr entweder schallend, oder ihr schlagt die Hände über dem Kopf zusammen. Denn klar ist, diese Räder werden extrem überladen, ruppig behandelt, und oft schlecht gepflegt. Der Verschleiß ist enorm, und Material welches dennoch den harten Alltag in einem Postbetrieb aushält, hat definitiv ein besonderes Prädikat verdient!
 
Oh ja spannend, ich hatte letztens auch mal die Gelegenheit, ein Postdreirad mit Einsatzbeladung zu fahren, was für eine Katastrophe!
Es war das ältere Dreiradmodell und ich bin ja nicht gerade der Dreiradfan. Aber so ein übles Fahrverhalten hab ich noch nicht erlebt, das Ding hat sich genau im Geschwindigkeitsbereich 15-20km/h aufgeschaukelt und ist dann fast unfahrbar. Laut der eigentlichen Nutzerin "normal"...die neuen Modelle sind wohl etwas...fahrdynamischer konstruiert wenn ich das richtig sehe, bin aber leider noch nicht gefahren.
 
Zum Einstieg erstmal etwas zur allgemeinen Erheiterung.

Letzten Monat kommt eine Kollegin mit einem der neuen eBikes auf mich zu. Ihr Reifen vorne sei abgefahren, und die Bremse quietscht. Schlechtes Timing, ich hab nämlich gerade eh schon 3 Räder zum reparieren da stehen.
Rückfrage von mir: Es quietscht nur, aber es bremst noch gut? Antwort : Ja, Bremse geht noch.
Alles klar, erstmal weiter fahren, vermutlich ist der Bremssattel nur nicht richtig ausgerichtet. Das ist wegen dem alten IS2000-Standard mühsam, und ab Werk spart man sich den Aufwand meist, deshalb quietschen die meisten Posträder beim bremsen immer elendig.

Einige Tage später: Ja das Rad quietsch jetzt ganz laut, und bremst schlecht. Okay also mal gucken...

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Jetzt hab ich den Thread extra schon spät Abends auf gemacht, damit ich direkt meinen ersten themenbezogenen Beitrag absetzen kann, und trotzdem grätschen mir da direkt mal die ersten dazwischen! :p
Freut mich aber zu lesen, das ich mit meiner Einschätzung recht lag, und da Interesse besteht.

Oh ja spannend, ich hatte letztens auch mal die Gelegenheit, ein Postdreirad mit Einsatzbeladung zu fahren, was für eine Katastrophe!
Es war das ältere Dreiradmodell und ich bin ja nicht gerade der Dreiradfan. Aber so ein übles Fahrverhalten hab ich noch nicht erlebt, das Ding hat sich genau im Geschwindigkeitsbereich 15-20km/h aufgeschaukelt und ist dann fast unfahrbar. Laut der eigentlichen Nutzerin "normal"...die neuen Modelle sind wohl etwas...fahrdynamischer konstruiert wenn ich das richtig sehe, bin aber leider noch nicht gefahren.
Das war vermutlich so eins mit Frontmotor? Die wurden seinerzeit von Mifa gebaut, und fahren sich in der Tat katastrophal schlecht. Die Kombination aus relativ hohem Schwerpunkt, und der sehr schmalen Bauweise macht die Dinger unglaublich kippelig.
Bei meinem vorherigen Arbeitgeber haben sich die Zusteller mehr als einmal damit gemault.
Die neuen Trikes sind deutlich breiter, und haben einen tiefer liegenden Schwerpunkt, was Sie deutlich besser kontrollierbar macht. Dafür passen Sie aber halt nicht mehr auf alle Gehwege.
Die Scheibe hat überlebt?
Gruß Krischan
:sneaky::LOL:
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Mit leichtem Erröten berichte ich, dass ich aus eigener Erfahrung das Bremsverhalten des Belagträgers im Vergleich zum Belag nicht spürbar schlechter fand... Quietscht auch nicht.
Ich war mir sicher, dass ich erst "kürzlich" kontrolliert hatte. Nach einigem Nachdenken war das Kürzlich aber schon über einen Monat (~2kkm) her.
 
Das war vermutlich so eins mit Frontmotor? Die wurden seinerzeit von Mifa gebaut, und fahren sich in der Tat katastrophal schlecht. Die Kombination aus relativ hohem Schwerpunkt, und der sehr schmalen Bauweise macht die Dinger unglaublich kippelig.
Sorry fürs dazwischengrätschen :p nee war so eins mit einer Art Mittelmotor unter einer Blechabdeckung, wo wenn ich richtig erinner auch die Schaltung mit drin war...kann vielleicht demnächst nochmal ne Runde drehen. Die Fahreigenschaften waren aber genauso wie du es beschreibst :)
Als ich abgestiegen bin, hatte sich mein Respekt vor den Austrägerinnen nochmals deutlich erhöht.
 
Sorry fürs dazwischengrätschen :p nee war so eins mit einer Art Mittelmotor unter einer Blechabdeckung, wo wenn ich richtig erinner auch die Schaltung mit drin war...kann vielleicht demnächst nochmal ne Runde drehen. Die Fahreigenschaften waren aber genauso wie du es beschreibst :)
Als ich abgestiegen bin, hatte sich mein Respekt vor den Austrägerinnen nochmals deutlich erhöht.
Die Hobel sind tatsächlich ebenfalls aktuell, stammen allerdings von einem anderen Hersteller. Dieser hat das wackelige Konzept der ersten Trikes abgesehen vom Antrieb im wesentlichen übernommen.
Bei dem Antrieb handelt es sich um einen "ERZMO MS1". Die Teile wurden gezielt für die Verwendung in Posträdern entwickelt, und haben in der Tat eine integrierte 3-Gang Schaltung. Der Motor scheint robust konstruiert, und hat ordentlich Durchzug. Frisst aber Ketten wie nix gutes.
 
Was mir bei den Posträdern ganz oft auffällt: Die fahren überwiegend mit trockenen Ketten herum, es sieht nicht so aus als ob die jemals geschmiert werden würden. Wie handhabt Ihr das?
Das Thema Posträder finde ich übrigens sehr interessant, Du hast durch Deinen Job ja den allerbesten Überblick über die Haltbarkeit und den Wartungsbedarf von Komponenten.
 
Kollege kommt rein, und ist sauer wie ein eingelegter Hering. Das eBike fährt nicht mehr, er musste den ganzen Weg zurück treppeln.

Es folgte eine etwa 20 minütige Suche nach dem Fehler. Akku, Steckverbindungen, Gasgriff, Controller. Alles in Ordnung. Aber mooooment mal! Was ist das da unter der Batteriehalterung? Shit, das Kabel ist abgerissen. :cautious:

Nicht unbedingt das, was man sich kurz vor Weihnachten noch wünscht. Aber gut, damit bleibt das Rad erstmal in der Werkstatt stehen. Es hat sowieso eine Komplettüberholung nötig. Der Zusteller fährt bereits fast ein Jahr ununterbrochen damit herum.

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Das ist mal eine raue Benutzung.
Papier ist ja bekanntlich schwer. Wie viel tragen die Bikes denn, wofür sind die konstruiert?
 
Was mir bei den Posträdern ganz oft auffällt: Die fahren überwiegend mit trockenen Ketten herum, es sieht nicht so aus als ob die jemals geschmiert werden würden. Wie handhabt Ihr das?
Das hast du richtig erkannt. Ketten werden an Postfahrrädern praktisch nie gepflegt. Und da die Räder mitlerweile meist mit Antrieb daher kommen interessiert das noch weniger als zuvor, weil der Motor ja eh anschiebt. Entsprechend wird einfach gefahren bis gar nix mehr geht.

Erst kürzlich habe ich mehrere etwa 4-5 Jahre alte eBikes vorgesetzt bekommen, und an denen war halt noch die erste Kette ab Werk drauf.
Da hat keiner was dran gemacht all die Jahre. Die Teile waren steif wie ein Brett.
Überraschenderweise waren die Ritzel noch in einem guten Zustand, und mussten nicht getauscht werden.

Das ist mal eine raue Benutzung.
Papier ist ja bekanntlich schwer. Wie viel tragen die Bikes denn, wofür sind die konstruiert?
Die klassischen Postfahrräder sind bis 210kg Gesamtgewicht zugelassen. Bei den eBikes variiert es je nach Modell.
Die älteren mit Heinzmann-Antrieb waren meist für 210-230kg freigegeben. Die neueren mit Mittelmotor und Doppelkorb hinten dürfen sogar 250kg tragen.
Die Trikes bewegen sich je nach Bauart bei 280-300kg. Allerdings wiegen die selbst auch schon enorm.

Deine Erfahrungen mit Nabenschaltungen und Trommelbremsen von Sachs/SRAM und Sunrace-Sturmey Archer würden mich auch interessieren.
Zum Thema Nabenschaltungen habe ich ja bereits einen eigenen Thread versprochen. Aber da muss ich halt mal so richtig die Muse für haben, weil das ein recht weites Feld ist.

Von Trommelbremsen bin ich persönlich nicht so begeistert. Die Bremsen meist entweder zu stark, oder gar fast gar nicht.
Und bei den gewichten die bewegt werden, ist das eigentlich grenzwertig sowas in Posträder zu bauen. Zumal man bei den Rädern ohne Antrieb ansonsten nur noch eine Rücktrittbremse hat.
Vorteil ist halt das die Teile absolut Wartungsfrei sind, und jahrelang halten. Außer mal den Bremszug tauschen/nachjustieren, und mal die Achslager einstellen gibts da nix zu tun.
 
Tja, wenn das ohne Pflege 4-5 Jahre hält wird man niemanden von der Wirtschaftlichkeit einer Kettenpfleg überzeugen können...
Bei den Trommelbremsen meine ich einen Effekt wahrnehmen zu können, der man gut ist und mal stört: Ganz leicht anbremsen geht damit nicht, sie bremsen gleich mit einer gewissen Mindestleistung. Das ist vermutlich einfach der Effekt der auflaufenden Backe. Für den Bremsweg kann das ganz gut sein, aber es ist doof für glitschige Untergründe und fährt sich etwas unelegant. Unsere Wann hat ja vorne Sachs-Tromelbremse und hinten Rücktritt. Das reicht in der Ebene, aber Gefälle kann man nicht so vollständig für sich nutzen, weil man einfach schlechter bremst als alles um einen herum. Doppel-Duplexbremse her! :giggle:
 
Wie viel tragen die Bikes denn, wofür sind die konstruiert?
Die klassischen Postfahrräder sind bis 210kg Gesamtgewicht zugelassen. Bei den eBikes variiert es je nach Modell.
Die älteren mit Heinzmann-Antrieb waren meist für 210-230kg freigegeben. Die neueren mit Mittelmotor und Doppelkorb hinten dürfen sogar 250kg tragen.
Die Trikes bewegen sich je nach Bauart bei 280-300kg

Das ist, was zugelassen ist...
Interessanter wäre, was sie im realen Leben tatsächlich zu tragen haben.
Vermutlich „ab und zu“ deutlich mehr (im Klartext: fast jeden Tag deutlich mehr)...
 
Tja, wenn das ohne Pflege 4-5 Jahre hält wird man niemanden von der Wirtschaftlichkeit einer Kettenpfleg überzeugen können...
Bei der Deutschen Post sieht das halt so aus, das ein Mechaniker oft mehrere hundert Räder zu betreuen hat. Da bleibt schlicht keine Zeit für eine ordentliche Inspektion, oder für regelmäßige Service-Intervalle. Da wird im Regelfall genau das gemacht was gerade kaputt ist, und sonst nix.

Dagegen habe ich als beschäftigter bei einem Marktbegleiter der Post deutlich angenehmere Arbeitsbedingungen, und muss mich "nur" um aktuell etwa 30 Räder kümmern. Daher kann ich mir dann halt auch mal die Zeit nehmen um quietschende Bremsen ordentlich zu justieren, den versifften Antriebsstrang zu reinigen, oder gammelige Lager zu neu schmieren.
Hier hat die geringe Pflege der Räder in erster Linie damit zu tun, das es keinen Mechaniker gab, der die Instandhaltung durchgeführt hat.

Das ist, was zugelassen ist...
Interessanter wäre, was sie im realen Leben tatsächlich zu tragen haben.
Vermutlich „ab und zu“ deutlich mehr (im Klartext: fast jeden Tag deutlich mehr)...
Das wird dir keiner genau beantworten können, schließlich wiegt die voll beladenen Räder ja keiner ab. ;)
Aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, das die Räder regelmäßig mehr zu tragen haben, als was offiziell erlaubt ist. Da knarzt es dann schon mal ordentlich im Gebälk wenn man morgens los fährt.


Neues aus der Arbeit:
Das Rad mit dem abgerissenen Kabel wurde nun mittels neuer Verbindungsstecker geflickt, und hat zum Schutz vor weiterem Abrieb eine Kabelspirale übergezogen bekommen.
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Außerdem haben die Lager im Vorderrad das Superfett von @Rasende Badewanne erhalten.
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Überraschenderweise waren die Lager sogar noch gut gefüllt, auch wenn das Fett stellenweise bereits zu verharzen begann.
Aber für 4 Jahre Dauernutzung nicht schlecht. Da hab ich an anderen Posträdern schon schlimmeres gesehen.
Oft ist bereits ab Werk viel zu wenig Fett in den Lagern.
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Zuletzt bearbeitet:
Heute mal wieder eine Kette getauscht, und das ganze zu wissenschaftlichen Zwecken für das Forum dokumentiert. :p
So sieht eine Kette also von nahem aus, die 4 Jahre ohne Pflege in einem Postrad gelaufen ist. Unten zum Vergleich eine verstärkte Connex 7E8 die als Ersatz drauf kam.

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Bei der Kettenschmierfrage kam ja gerade ein interessanter Aspekt auf: Durchgehende Hülse oder nicht? Die Kontaktfläche ist bei durchgehender Hülse größer und die Mitte der Kontaktfläche ist weiter vom äußeren Umfeld entfernt, mit Vor- und Nachteilen.
Eure Postrad-Ketten halten ja offenbar extreme Vernachlässigung aus - haben die durchgehende Hülsen?
 
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