Darf ich mir ein paar Passagen der Anleitung abschreiben?
Ja, gerne.
Da hier m. W. sonst keiner das Rad fährt, gibt es hier natürlich eine implizite Erwartungshaltung bzgl. Erfahrungsberichten.
Meine Erfahrung mit dem Rad beschränkt sich allerdings auf insgesamt vielleicht 100km und wenige Tage, bisher immer nur mit wenig Beladung (max. 25kg vielleicht).
Wir haben uns für das Bergamont in erster Linie deswegen entschieden, weil es bei einem Fahrradhändler vor Ort erhältlich war. Als es endlich im Laden verfügbar war, haben wir es kurz ausprobiert und dann sofort zugesagt, es zu kaufen. Bis dahin hatte der Händler bereits 3 weitere Anfragen für das Rad. Es war aber kein "Notkauf", sondern wir sind mit dem Rad sehr zufrieden.
Die Optik fand ich zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile gefällt es mir ausgesprochen gut: Eigenständiges und modernes Design. Die Sitzposition ist moderat sportlich und auf jeden Fall weniger "holländisch" als beim UA. Die Ladefläche mit dem Bambus-Holz wirkt sehr edel, allerdings haben wir für den Verleih noch eine Schutzmatte, um das Holz und die Hochglanz-lackierten Rahmenteile, die einige Millimeter höher liegen als die Holzfläche, zu schützen.
Wir haben eine graue Euro-Box (60 x 40 cm) dazu gekauft, in der sich Kleinkram verstauen lässt. Vielleicht machen wir mal ein Upgrade auf eine Zarges Alubox. Wenn man die Box quer auf die Ladefläche stellt, passt davor oder dahinter noch eine Bierkiste, oder wie auf dem Bild zu sehen: ein Brompton. Das Bild entstand, als ich das Lastenrad zu einer anderen Station gebracht habe und mit dem Faltrad hin, und mit dem Bergamont samt Brompton wieder zurückgefahren bin.
Das Fahrverhalten ist so, wie man es von einem Long John wohl erwartet. Der minimale Kurvenradius ist größer als beim Urban Arrow und natürlich auch deutlich größer als beim Omnium Cargo, das ich privat fahre, oder beim Packster 70. Beim normalen Fahren stört das nicht, aber wenn man langsam um enge Kurven fahren will, muss man schon aufpassen, dass die Lenkung nicht den Anschlag erreicht. Auch beim Rangieren würde man sich einen größeren Lenkausschlag wünschen.
Wir haben die "Expert"-Ausstattung, also mit Cargo-Line Motor, Kette und Enviolo Nabenschaltung. Wir hätten ohnehin nehmen müssen, was man kriegen kann, aber für diese Variante hätten wir uns auch entschieden. Die automatische Schaltung der "Elite"-Version wäre vermutlich nichts für den Verleih, wobei uns bei der Elite-Version der Riemenantrieb gefallen hätte. Auch die Kettenschaltung der "Edition" Variante hätte uns für den Verleihbetrieb nicht zugesagt.
Hier findet man die Spezifikationen der drei verschiedenen Varianten beim Hersteller:
https://www.bergamont.com/de/de/products/bergamont-bikes-ecargo-ecargovillelj
Die 4-Kolben Scheibenbremsen packen kräftig zu und sind üppig dimensioniert (zulässiges Gesamtgewicht 220kg). Anfangs gab es noch Schleifgeräusche bei der Vorderradbremse, aber das ließ sich vom Händler schnell beheben.
Der große 625 Wh Akku ist in der Steuersäule untergebracht. Zum Entnehmen muss man eine Kunststoffabdeckung entfernen, die mit einer Rändelschraube befestigt ist (die man verlieren kann), und hat dann Zugang zum Schloss, mit dem der Akku gesichert ist. Eine Ladebuchse befindet sich außerdem im Rahmen über dem Motor. Die Gummikappe, mit der die Buchse abgedeckt ist, hält leider nicht so gut wie sie sollte. Wenn das Rad im Regen steht, könnte dort Wasser in die Ladebuchse eindringen.
Wenn ich in Unterstützungsstufe Eco gefahren bin, zeigte das Kiox-Display in der Ebene und bei annähernd Windstille eine Reichweite bis zu 150km an (ohne weitere Zuladung). Kleine Spielerei: Das Display zeigt grafisch an, wie viel Leistung gerade von den Beinen und wieviel Leistung vom Motor aufgebracht wird. In der Ebene bin ich das Rad um die 25 km/h gefahren und der Motor springt dann nur sporadisch an. Wenn man weniger sportlich unterwegs ist, geht die Reichweite natürlich entsprechend in den Keller. Im "Turbo"-Modus beschleunigt das Rad von alleine auf knapp 25km/h, wenn man einfach nur ohne viel Kraft die Pedale dreht. Es ist auch sehr beeindruckend, wenn man mit dem großen Lastenrad eine Steigung einfach mit 25km/h hochfährt, oder bei der Beschleunigung an der Ampel ein Auto hinter sich stehen lässt. Ich warte auf eine Gelegenheit, die Zuladung des Rades mal voll auszunutzen und bin gespannt, wie es sich dann verhält.
Noch zum Display: Für den Verleihbetrieb bietet das mehr Möglichkeiten als wir brauchen. Man kann zum Beispiel über Bluetooth ein Smartphone koppeln und das Display als Anzeige für eine Navigations-App benutzen. Diese Funktionen haben wir aber deaktiviert, weil das die Nutzer vermutlich überfordern würde, und nur die Display-Seiten für die Standardinformationen belassen. Das Display wird von einem Magneten gehalten und kann einfach abgenommen und daher leider auch einfach geklaut werden. Für den Verleih reichen die normalen Bosch-Displays völlig aus, und das hätten wir uns so nicht ausgesucht, wenn wir die Wahl gehabt hätten. Wenn man Lust hat, sich mit den umfangreichen Möglichkeiten zu befassen, macht es aber natürlich Spaß.
Leider verfügt das Rad nicht über ein Rahmenschloss und es gibt auch keine Befestigungsmöglichkeit, eines nachzurüsten. Auch wenn man das Rad nur kurz in Sichtweite abstellt, muss man also immer ein externes Schloss verwenden. Das ist nicht praktikabel, wenn man das Rad zum Beispiel auf dem Wochenmarkt von Stand zu Stand mitnehmen möchte.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Kette, die recht ungeschützt verläuft. Zum Einen wird die vermutlich schnell verschmutzen und zum Anderen ist meiner Frau beim Fahren auch schonmal das Hosenbein in die Kette geraten. Da sollte man also nicht mit weiten Hosenbeinen fahren, oder das mit einer Klammer sichern.
Der Ständer ist recht weit vorne angebracht und wird mit einer kräftigen Feder gegen den Anschlag gezogen. Wenn das Fahrrad unbeladen ist, reicht es nicht aus, es einfach nach vorne vom Ständer zu schieben, sondern man muss einen Fuß davor stellen. Ich habe mittlerweile den Bogen raus, wie man dabei gleichzeitig verhindert, dass der Ständer dann mit voller Wucht nach oben gegen den Anschlag knallt. Das erfordert aber etwas Akrobatik
Zur Wartung und Robustheit können wir jetzt noch nichts sagen, weil das Fahrrad in den ersten beiden Monaten gerade erst 500km gefahren wurde.